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Schumacher, Jens - Deep

Schumacher, Jens - Deep

Titel: Schumacher, Jens - Deep Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Schumacher
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auf. »Aber versuch bitte, dir nichts anmerken zu lassen, wenn du oben bist. Ich habe Wren und den anderen bisher nichts von meinen Schlüssen erzählt. Zum einen hätte das gegen die Abmachung verstoßen, die du und ich mit Eileen und den anderen getroffen haben. Abgesehen davon hätten sie wahrscheinlich ohnehin nur an meinem Verstand gezweifelt – und Weisman hätte die Gelegenheit genutzt, mich umgehend krankzuschreiben und nach Kanada zurückzuschicken.«
    »Was glauben deine Kollegen, womit ihr es zu tun habt?«
    »Sie hoffen auf Beweise für eine Frühmenschenspezies, die noch vor dem Java-Menschen existierte und bereits wesentlich zivilisierter war als dieser. Wie sollten sie sich die Funde von solch alten Inschriften auch anders erklären?«
    Während sie zum Aufgang des Gerüsts schritten, spürte Henry die Hand seines Vaters auf der Schulter.
    »Ich bin froh, dass du wieder da bist, mein Junge. Vergangene Nacht, dort oben auf dem Gerüst, kam ich mir vor wie der einsamste Mensch auf der Welt.«
    Henry legte seinerseits eine Hand auf die seines Vaters und erwiderte den Druck. Er spürte die Verbundenheit, die ihre gemeinsamen Erlebnisse im ewigen Eis geschaffen hatte. Als seine Finger die Narben berührten, die die chirurgischen Eingriffe an Händen und Armen von Dr. Wilkins hinterlassen hatten, schauderte ihn dennoch. Er atmete mehrmals tief durch und begann, die Leiter hinaufzusteigen.
    Zehn Minuten später stand Henry auf der höchsten Galerie des Gerüsts, ließ das Licht seines Handstrahlers über die Bilder an den Deckenflächen gleiten und bemühte sich nach Kräften, seine Fassungslosigkeit zu verbergen.
    Sein Vater hatte nicht übertrieben. Bereits beim Betrachten des ersten Reliefs – eine Gruppe geflügelter, sternköpfiger Wesen wurde in den Schlund eines riesenhaften Krakenmonsters getrieben – spürte Henry, wie sich sein Magen in einen Eisklotz zu verwandeln schien. Neben dem Schrecken über die Bilder selbst schwang in einem versteckten Winkel seines Bewusstseins noch eine andere, vage Angst mit.
    Nur fünf Monate zuvor hatte der Fund fremdartiger Reliefs den Auftakt zu einer Kette grauenhafter Ereignisse gebildet.
    Henry merkte, dass sein Atem schneller ging, Schweißperlen waren auf seine Stirn getreten. Unauffällig spähte er über die Schulter, ob Dr. Becker seine Reaktion bemerkt hatte. Doch die rothaarige Wissenschaftlerin stand auf der anderen Seite der Galerie und skizzierte fasziniert ein grell ausgeleuchtetes Relief. Aus ihrem iPod-Verstärker dröhnte ein Song von Korn.
    Als er sich wieder den Bildern zuwandte, streifte Henrys Blick das Gesicht seines Vaters.
    In den harten Schlagschatten der Strahler wirkte Donald Wilkins wie ein Gespenst. Seine Augen waren geweitet, das Gesicht ohne jede Farbe. Für einen beängstigenden Moment sah Henry wieder den Donald Wilkins vor sich, den er fünf Monate zuvor in dem unterirdischen Felsenlabyrinth am Südpol gefunden hatte: eine aufgetriebene, grauhäutige Gestalt mit halb zugewachsenem Mund und schleimverstopften Nasenlöchern, das Gesicht umwuchert von unförmigen Gewebswucherungen.
    Er schrak zusammen, als sein Vater die Lampe hob und mit dem Lichtstrahl auf eines der höchsten Reliefs wies. Henry erkannte die unerklärlichen, vom Himmel herabfahrenden Strahlen, von denen Dr. Wilkins gesprochen hatte, und registrierte die rapide schrumpfende Zahl der vielarmigen Riesenwesen. Am Ende der Bildreihe war keines der Monster mehr zu sehen. Lediglich ein knappes Dutzend Symbole blieb zurück, verteilt auf einer stilisierten Weltkarte.
    »Ich glaube, du hast recht, Dad«, sagte Henry so leise, dass Wren Becker ihn nicht hören konnte. »Die Götter der Fischwesen wurden nicht getötet.«
    »Was, denkst du, ist mit ihnen geschehen?« Die Stimme seines Vaters war nicht mehr als ein heiseres Flüstern.
    »Schwer zu sagen.« Henry runzelte die Stirn. »Aber diese Symbole kommen mir vor wie Marker, wie Kreuze auf einer Schatzkarte. Vielleicht wurden die Giganten irgendwo eingesperrt?«
    Henry sah den Adamsapfel seines Vaters an dessen zernarbtem Hals auf und ab hüpfen, als er mehrmals hart schluckte.
    »So habe ich die Zeichen ebenfalls interpretiert.«
    »Das muss aber nicht zwingend bedeuten, dass sie heute noch dort sind«, fügte Henry rasch hinzu, um seinen Vater – und sich selbst – zu beruhigen. »Immerhin sind diese Reliefs … wie alt? Eine Million Jahre?«
    »Mindestens.« Dr. Wilkins nickte. »Du hast natürlich recht. Was mich

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