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Schumacher, Jens - Deep

Schumacher, Jens - Deep

Titel: Schumacher, Jens - Deep Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Schumacher
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Gebilde, dass es entdeckt worden war, löste es sich ruckartig vom Glas und zog sich mehrere Handbreit zurück. Einen Sekundenbruchteil darauf glitt ein heller Umriss, hoch aufgerichtet und allem Anschein nach mindestens mannsgroß, hinter dem benachbarten Fenster vorbei. Henry konnte dem geisterhaften Schemen mit den Augen noch zwei Fenster weit folgen, dann wich er in den finsteren Innenraum zurück und war nicht mehr auszumachen.
    Sekundenlang herrschte atemloses Schweigen an Bord der Ki’tenge. Schließlich stieß Gordon McKenzie mit einem hörbaren Zischen Luft aus.
    »Ich habe in den letzten zwanzig Jahren einiges gesehen. Und eigentlich hätte ich von mir behauptet, dass ich mich mit den Dingen, die im Meer kreuchen und fleuchen, ganz gut auskenne.« Er schluckte hörbar. »Aber ich habe ums Verrecken keine Ahnung, was das gewesen sein könnte.«
    »Habt ihr es denn nicht erkannt? Es war ein Gesicht!« Becca zitterte vor Schreck und Aufregung. »Diese Falten … Das war eindeutig ein verquollenes, aufgedunsenes Gesicht. Wie von jemandem, der seit Jahrzehnten im Salzwasser gelegen hat … einer Wasserleiche!« Ein Schauder fuhr durch ihren Körper, und sie schlang schützend die Arme um ihre Schultern.
    Henry hätte sie gern in den Arm genommen und versucht, sie zu beruhigen. Doch er konnte es nicht. Er hatte plötzlich das Gefühl, das Tauchboot um ihn herum würde sich wild im Kreis drehen. Der Boden unter seinen Füßen schien zu schwanken, und er musste sich mit einer Hand an der Bordwand abstützen, um nicht zu stürzen.
    Der Schwindel und das nagende Gefühl der Panik in seinem Innern waren allerdings im Bruchteil einer Sekunde vergessen, als er zu seinem Vater hinübersah.
    Donald Wilkins starrte noch immer bewegungslos aus dem Bugfenster. Er war kreidebleich, in seinen Augenwinkeln glitzerten winzige Tränen des Schocks. Dann, ganz langsam, wandte er den Kopf und sah Henry an.
    Ein einziger Blick in sein angstverzerrtes Gesicht, die grünen Augen, die verzweifelt zu flehen schienen, aus einem grässlichen Albtraum erwachen zu dürfen, und Henry wusste, dass sein Vater dasselbe gesehen hatte wie er.
    Keinen Fisch.
    Kein Gesicht.
    Sondern graues, wirbelloses Fleisch, wie es niemals ein auf der Erde geborenes Lebewesen sein Eigen genannt hatte.

21
     
    400 METER UNTER DEM INDISCHEN OZEAN,
    27. SEPTEMBER 2013
     
    »Du weißt so gut wie ich, dass das unmöglich ist, Dad!« Henry bemühte sich, gedämpft zu sprechen, was ihm einigermaßen gelang. Das Beben in seiner Stimme zu unterdrücken, gelang ihm weniger gut.
    Nervös warf er einen Blick über die Schulter zur Steuerkanzel der Ki’tenge. McKenzie und Becca waren damit beschäftigt, das Tauchboot in einem weiten Bogen zum Wrack zurückzusteuern. Die Aussicht auf weitere Beobachtungen machte sie so aufgeregt, dass sie Henry und Dr. Wilkins, die sich nach dem Abklingen ihres Schocks nach achtern zurückgezogen hatten, für den Augenblick nicht beachteten.
    »Ich sage ja gar nicht, dass es eines der grauen Dienerwesen ist, das im Innern der U-196 festsitzt«, gab sein Vater zurück. »Wie sollte ein Geschöpf, geschaffen vor hundert Millionen Jahren durch ein Mutagen aus den Tiefen des Alls, in ein U-Boot aus dem Zweiten Weltkrieg kommen?« Er schüttelte den Kopf. »Zudem wäre die sternartige Form des Kopfes unverkennbar gewesen, auch die dünnen Tentakel hätten sich beim Kontakt mit der Scheibe abzeichnen müssen.« Er packte Henry an den Schultern und sah ihm tief in die Augen. »Aber ist dir nicht die Farbe aufgefallen? Dieses schlierige, an schmutzigen Zement erinnernde Grau?«
    Henry atmete zweimal tief durch. Unter seinen Füßen vibrierte es, als McKenzie die Stellung der Elektromotoren veränderte und die Ki’tenge sich in eine sanfte Steuerbordkurve legte. Er nickte.
    »Möglicherweise bedingen die physikalischen Bedingungen in jener Sphäre, aus der sowohl das Mutagen als auch das Ding im U-Boot stammen, diese gräulich-schwammige Färbung«, vermutete sein Vater. »Auf alle Fälle bin ich froh, dass wir alle es gesehen haben. Andernfalls würde ich jetzt wahrscheinlich einmal mehr an meinem Verstand zweifeln.«
    Der Bug des Tauchboots senkte sich. Henry hörte, wie McKenzie und Becca sich mit gedämpften Stimmen unterhielten, doch die beiden schienen noch nichts Spektakuläres entdeckt zu haben.
    »Was sollen wir jetzt tun?«, wollte er wissen. »Glaubst du, das da«, er nickte in Richtung der U-196, »hängt mit den Symbolen zusammen, die

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