Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis
merklich lauter als zuvor, drang aus seinem Mund, seine Augen flogen mit einem Ruck wieder auf. Die Hand, die eben noch schiaffin Henrys gelegen hatte, krampfte sich zusammen, umschloss seine Finger mit unerwarteter Kraft.
»Hey! Was ist los da drin?«, hallte Golitzins besorgte Stimme aus dem Korridor.
Eileen erhob sich, huschte zum Durchgang und informierte die anderen. Wenige Augenblicke später erklangen keuchende Laute sowie das Scharren von Stiefeln auf Stein, als der Russe und Professor Albrecht sich daranmachten, die Kammer ebenfalls zu erklimmen.
»H … Henry!« Donald Wilkins’ grüne Augen waren jetzt fest auf seinen Sohn gerichtet. Verwunderung spiegelte sich in ihnen. Verwunderung und unendliche Erleichterung.
Henry erwiderte den Druck der grauen Hand, wobei er beinahe ebenso stark zitterte wie sein Vater. Irgendwo am Rand seines Bewusstseins nahm er wahr, dass noch immer Tränen seine Nasenflügel hinabrannen.
»Mein Junge … ich dachte, ich würde dich niemals wiedersehen.« Die Worte kamen zögernd, als müsste sich Donald Wilkins’ Zunge erst mühsam daran erinnern, wie man Worte artikulierte. Er sah seinen Sohn überglücklich an, doch nur einen Moment später weiteten sich seine Augen abrupt. »Du solltest nicht hier sein!«, stieß er hervor. »Niemand von euch sollte hier sein! Gefährlich! Dinge gehen hier unten um …«
Hektisch umherschweifende Lichtkegel aus dem Hintergrund verrieten, dass der Professor und Dr. Golitzin die Felsenkammer betreten hatten, Letzterer vermutlich unter tatkräftiger Mithilfe Grays, der draußen im Korridor geblieben war. Henry hörte, wie sie näher kamen, mehrere Schritte entfernt stehen blieben und überrascht Luft holten. Er drehte sich nicht um.
»Dad«, brachte er hervor. »Was ist mit dir? Wie fühlst du dich? Hast du Schmerzen?«
Für einen kurzen Moment schien ein Lächeln die teigigen Züge von Donald Wilkins’ Gesicht aufzuhellen. »Überflüssige Frage«, keuchte er. »Schmerzen sind so ziemlich das Einzige, was ich nicht habe.«
Henry nickte, als er sich an die angeborene Schmerzunempfindlichkeit seines Vaters erinnerte.
Dr. Wilkins hustete. Graue Schleimbröckchen sprühten von seinen Lippen auf den Kragen seiner Jacke. Als er Henry das nächste Mal ansah, war sein Blick von nackter Angst gezeichnet. »Ihr dürft hier nicht bleiben, hörst du? Ihr müsst fort von hier! Sofort! Das Erbe der Alten Wesen …«
»Donald«, mischte sich Lamont jetzt in das Gespräch ein. »Erkennen Sie mich? Ich bin es, Duncan. Duncan Lamont von der medizinischen Fakultät der Universität in Toronto.«
Der Blick des Kranken irrte zu dem Arzt hinüber, ohne dass sich so etwas wie Erkennen in seiner Miene abzeichnete.
»Donald, was ist mit Ihnen geschehen? Wissen Sie, was Sie so verändert hat? Wenn Sie mir einen Hinweis geben könnten, was Ihren Zustand ausgelöst hat, kann ich vielleicht …«
»S … Sonde«, stöhnte Donald Wilkins. »Sonde ist an allem schuld! Ich … wir hätten niemals …« Er verschluckte sich, hustete wieder. Sein Atem ging jetzt schneller als zuvor, er schien kurz davor zu hyperventilieren.
»Wovon reden Sie?« Lamont nahm Henry den Arm seines Vaters aus den Händen und fühlte erneut seinen Puls. »Was für eine Sonde? Hören Sie, Donald: Wenn ich Ihnen helfen soll, müssen Sie mir sagen, was …«
Unvermittelt platzte eine Reihe japsender Geräusche aus Donald Wilkins’ Kehle hervor. Kurz fürchtete Henry, sein Vater könnte an dem Schleim, den er aushustete, ersticken. Als er begriff, was tatsächlich geschah, erschreckte ihn diese Erkenntnis allerdings fast noch mehr.
Sein Vater lachte.
»… jemals träumen lassen, dass der Mensch nicht der Einzige ist, dem der Drang innewohnt, fremde Welten zu kultivieren«, keuchte er. »Sonde … Erbgut … quer durch das Universum …« In Donald Wilkins’ aufgerissenen Augen irrlichterte es. »Universum … so riesig, Henry. So alt! Dort draußen … Dinge … unvorstellbare Dinge, Henry. Ihr müsst fort von hier, fort!«
»Er redet wirr.« Mit besorgtem Blick wandte sich Dr. Lamont wieder seinem Rucksack zu. »Wenn ich bloß wüsste, woran er leidet. Dann könnte ich …«
»Diese Verwachsungen der Haut«, unterbrach ihn Eileen mit bleichem Gesicht. »Sie sehen aus wie Geschwüre. Könnte es eine Art Krebserkrankung sein?«
Lamont schüttelte den Kopf. »Wir alle haben Donald vor kurzer Zeit noch gesehen, gesund und munter. Kein Krebs wäre in der Lage, einen Menschen binnen
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