Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis
seiner Expedition zu suchen.«
»Sie glauben also, dass mein Vater noch am Leben ist?« Henry spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. »Und dass er sich irgendwo im Talkessel versteckt hält?«
»Tatsache ist, dass wir bislang nur über den Verbleib von fünf Mitgliedern seines Teams Bescheid wissen. Jenen fünf, die draußen im Eis begraben liegen. Die restlichen Teilnehmer müssen irgendwo stecken. Ob tot oder lebendig, ist eine andere Frage.« Spyker sah Henry und den Professor über sein Glas hinweg an wie ein Raubvogel. »Momentan suchen meine Männer nach bestimmten Anlagen, die ich unterhalb der Stadt vermute. Bislang erfolglos. Wenn sie fündig würden und ich ihnen den Auftrag erteilte, gezielt nach Orten Ausschau zu halten, an denen eine Handvoll Überlebender Zuflucht vor etwaigen Angriffen suchen könnten …«
Schlagartig begriff Henry, wieso Spyker den Professor nicht allein hierherbestellt hatte, sondern ihn ebenfalls zu dieser Unterredung geladen hatte. Er wusste, dass Professor Albrecht das Angebot, nach Donald Wilkins zu suchen, niemals ausschlagen würde, während Henry an seiner Seite saß. Nicht einmal dann, wenn dies bedeutete, dass er sein Wissen und seine Fähigkeiten in den Dienst ihres Kidnappers stellen musste.
Heiße Wut auf Spyker und dessen berechnende Art stieg in Henry auf. Er verspürte den Impuls, aufzuspringen und dem größenwahnsinnigen Alten seine verdammte Whiskyfasche über den Schädel zu schlagen. Doch er beherrschte sich. Erstens wäre der Wachmann an der Tür mit seiner MP auf jeden Fall schneller als er. Und zweitens regte sich jetzt endlich wieder so etwas wie Hoffnung in ihm. Wenn es ihnen überhaupt gelingen konnte, seinen Vater zu finden, dann mithilfe von Spykers Mitteln und Fähigkeiten.
Professor Albrecht hatte lange geschwiegen. Als er die Blicke Henrys und Wayne Spykers auf sich spürte, nahm er seine Brille ab und polierte die dicken runden Gläser mit einem Taschentuch. »Schön«, sagte er schließlich. »Mir ist zwar nicht klar, wie ich Ihnen behilflich sein soll, aber wenn es uns im Erfolgsfall tatsächlich einige zusätzliche Tage für die Suche nach Donald einbringt, will ich es versuchen.« Er setzte die Brille wieder auf und sah Spyker mit gehobenen Brauen an. »Was genau wollen Sie von mir?«
28
AM RAND DER RUINENSTADT, 17. APRIL 2013
»Haben Sie im Zuge Ihrer Forschungen je von den ›Alten Wesen‹ gehört?«
Professor Albrecht legte die Stirn in Falten. »Alte Wesen?«
»Je nachdem, in welchem Kulturkreis man sucht, werden diese Geschöpfe auch ›Große Wesen‹, ›die Großen Alten‹ oder einfach ›die Früheren‹ genannt«, erklärte Spyker. Er hatte sein Whiskyglas beiseitegestellt und betrachtete seine Besucher mit einem lauernden, beinahe manisch wirkenden Blick.
Professor Albrechts Miene hellte sich auf. »Ich erinnere mich, den einen oder anderen dieser Namen schon einmal gehört zu haben. Sie bezeichnen eine fiktive Rasse von Göttern oder gottähnlichen Geschöpfen, die in der Frühzeit der Erde von den Sternen herabgestiegen sein sollen, nicht wahr?«
Spyker grinste wölfisch. »Beinahe richtig. Bis auf zwei Punkte: Zum einen handelt es sich nicht nur um eine einzelne Rasse. Meinen bescheidenen Nachforschungen zufolge haben die Urvölker der Erde verschiedene Lebensformen so benannt, die unseren Planeten in unterschiedlichen Perioden der Erdgeschichte besucht haben.«
»Aha.« Dem neutralen Ton des Professors war nicht zu entnehmen, was er von dieser Information hielt. »Und zweitens?«
»Zweitens ist das Wörtchen ›fiktiv‹ unangebracht, fürchte ich.« Als der Professor irritiert die Stirn runzelte, lachte Spyker auf. »Schauen Sie aus dem Fenster, Professor! Machen diese Abermillionen Tonnen bearbeitetes Gestein dort draußen auf Sie einen fiktiven Eindruck?«
Darauf wusste der Professor nichts zu erwidern.
»Die Erbauer dieser Stadt waren solche ›Alten Wesen‹«, fuhr Spyker lauter fort. »Sie kamen lange vor der Entstehung jeglichen vernunftbegabten Lebens, ein Volk, so hoch entwickelt und fremdartig, dass unser Verstand Mühe hätte, es sich vorzustellen. Noch heute verehren gewisse primitive Stämme an entlegenen Orten Hinterlassenschaften dieser Besucher, beten im Rahmen archaischer Riten ›Himmelsgötter‹ an.« Er lehnte sich in seinem Rollstuhl zurück und verschränkte mit kaum verhohlenem Stolz die Arme. »Auf einer abgeschiedenen Südseeinsel stieß ich auf einen Indianerstamm, der
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