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Schussfahrt

Schussfahrt

Titel: Schussfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
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bitter.
»Das dürfte aber auch das Einzige sein, was ich hinkriege.«
    Patrizia zögerte.
»Du weißt von Marcel und mir.«
    »Ja, weiß ich. Und
vom Bauplatz. Und davon, dass Marcel irgendwie verdächtig ist, in die
Rümmele-Sache verstrickt zu sein.«
    »Ja, deswegen bin
ich hier. Er hat mich gerade vom Sonntagsdienst aus angerufen. Er wurde
aufgefordert, sofort ins Präsidium zu kommen. Was wollen die von ihm? Du bist
doch dank Gerhard über alles informiert. Was ist da los?« Patrizia klang
nervös.
    »Ich weiß es nicht
genau. Ehrlich! Ich weiß nur, dass er am Mordtag in Gunzesried war und dann
gegen halb fünf taleinwärts gefahren ist. Das ist schon merkwürdig, oder? Hat
er dir davon erzählt?«
    Zwischen Patrizias
Augen bildete sich eine Längsfalte. »Aber das kann doch nicht sein. Das kann doch
nur ein Zufall sein?«
    »Sicherlich. Das
wird sich alles klären. Für alles gibt es eine Erklärung. Du musst nur an das
Positive denken«, sagte Jo ohne Überzeugung.
    »Das sagst du, weil
du immer Glück hast!«
    »Ich immer Glück?
Toll, Patti! Ich stehe vor den Trümmern meines Lebens. Ich schaffe es nie, eine
einigermaßen normale Beziehung zu führen. Und im Job sitze ich auf einem
Schleudersitz. Ich habe Angst, Patti.«
    Patrizia dachte kurz
nach. »Das wirkt aber nach außen nie so. Schon früher nicht. Du warst gut in
der Schule, hast mal so einfach dein Studium gemacht, dann locker promoviert.
Ich habe dich beneidet. Ich mit meiner Realschule und dann der FOS , die mir ganz schön zu schaffen
gemacht hat. Dir ist alles zugeflogen. Du hast immer gewusst, was du willst!«
    Jos Antwort kam
schnell: »Meinst du! Siehst du mich wirklich so? Dann erzähle ich dir mal was.
Ich habe mich gerade so durch die Schule laviert, das Gleiche an der Uni, wohl
wissend: Meine Zukunft findet anderswo statt. Wohl wissend, dass man in
Deutschland erst mal einen Wisch haben muss, auf dem steht, dass man eine
Hochschule absolviert hat. So ging das alles seinen Lauf, ich war unzufrieden,
aber es gab ja immer auch viel Sonne im Englischen Garten – bis plötzlich unter
dunklen Gewitterwolken ein Jahr heranjagte, das Prüfungszeitraum hieß. Meine
Panik kam wehenartig, in immer kürzeren Abständen, und irgendwann setzte der
Überlebensmechanismus ein: Ich lernte! Und so verrückt das klingt, Patti, das
war eine letzte Schonfrist für meine Psyche. Auch wenn es nervte und zäh war,
so war es doch zielgerichtet. Es enthob mich der Frage: Wohin? Als ich nach
meiner letzten mündlichen Prüfung hinausschwebte, hatte ich minutenlang einen
absoluten Euphorieanfall. Ich raste barfuß über den Königsplatz, ließ meine Unterlagen
wie Drachen steigen, rempelte Leute extra an, um lautstark Entschuldigung
brüllen zu können, und fühlte mich unbesiegbar. Zwei, drei Minuten vielleicht.
Und dann war das Hochgefühl weg. Ich horchte in mich hinein. Mit gespitztem
inneren Ohr wollte ich etwas hören, aber da herrschte absolutes Schweigen.
Natürlich war ich froh, aber was ausblieb, war das gloriose Gefühl, die
Erkenntnis. Was hatte ich eigentlich erwartet? Dass der frischgebackenen
Akademikerin schlagartig das Licht der Erleuchtung den Weg weist? Da war nicht
mal ein zittriges Flämmchen: Da war nichts! In Ermangelung besserer Ideen habe
ich promoviert. Okay, auch bestanden, aber glaub mir: Ich hab mich seitdem nie
mehr unbesiegbar gefühlt. Nicht mal annähernd.«
    Patrizia hatte ihr
überrascht zugehört. »Aber vielleicht lag es daran, dass du nicht dankbar
warst. Du hast anscheinend eine andere Schwelle der Zufriedenheit. Dabei bist
du auf der Gewinnerseite gewesen. Auch mit deinen Männern. Nein, unterbrich
mich jetzt nicht! Du hast an diesen Jungs verzweifeln dürfen, was immerhin
vorausgesetzt hat, dass du sie vorher besessen hast. Ich war immer der nette
Kumpel, der Mülleimer, der Psychoschlucker, immer den Wunsch vor Augen, auch
einmal wegen eines völlig indiskutablen Knaben wenigstens leiden zu dürfen!«
    Jo schluckte. »Aber
du hast doch auch Freunde gehabt!«
    »Ach komm, Jo, aber
welche? Einen Typen, der mein Vater hätte sein können, und einen Taxifahrer,
der ein Prolet war. Du hingegen warst auserwählt, zur so genannten Szene zu
gehören. Du hattest die Männer, die angesagt waren. Der Wert eines Menschen ist
damals nur daran gemessen worden, wen man kannte. Dein Wert war hoch. Du warst
zeitweise die interessanteste Frau in der Stadt, und alle Männer haben gesagt,
dass keine einen so hübschen Busen hätte. Marcel

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