Schussfahrt
hätte es sich gewünscht, dass du bleibst.«
»Ja, das weiß ich
heute auch. Aber ich dachte, ich müsste ihn provozieren, um ihn endlich aus der
Reserve zu locken.«
»Was dir letztlich
gelungen ist mit deiner olympischen Affäre!«, rief Patrizia.
Jo schreckte auf und
verschüttete ihren Kaffee. »Hat dir Marcel das auch erzählt?«
»Auch, aber ich
wusste schon nach deinen ersten Erzählungen Bescheid. Du warst eine Zumutung,
eine Landplage zu dieser Zeit. Sprunghaft, übellaunig. Und dann bringst du es
fertig, Marcel einfach ins Gesicht zu sagen, dass ein Olympionike besser vögelt
als er.«
»Patti, so direkt
habe ich das nicht gesagt.«
»Nein, aber
sinngemäß. Schonungslos warst du schon. Damit hast du ihn letztlich vertrieben.
Aber genau das wolltest du ja auch. Er sollte Schluss machen, damit du dir die
Finger nicht schmutzig machen musstest.«
Jo wischte hektisch
die Kaffeeflecken auf und sagte lange nichts, dann meinte sie zögerlich: »Du
weißt so viel über mich. Ich weiß gar nichts über dich.«
Patrizia nickte.
»Tja, ich hatte Zeit zuzusehen. Ich war immer das Mauerblümchen, du auf dem
Olymp. Menschen wie du schauen selten zur Seite.«
»Bin ich wirklich so
ein Monstrum?«, fragte Jo zaghaft.
»Kein Monstrum, nur
manchmal sehr anstrengend. Für Marcel jedenfalls viel zu anstrengend und zu
schnell. Du überrennst die Menschen.« Patrizia versuchte ein Lächeln.
»Dich auch?«
Patrizia lächelte
weiter. »Nein, eigentlich nicht, ich kann auch mal weghören. Manches ist für
mich sowieso nicht nachvollziehbar. Ich bin ein ganz anderer Typ als Marcel.
Der wollte dich verstehen.« Sie fuhr sich mit beiden Händen durch die
Strubbelfrisur und fuhr fort: »Marcel ist auch kompliziert, aber ich lass ihn
erst mal in Ruhe. Insistieren bringt da gar nichts.«
»Dann geht es euch
gut, euch beiden?« Jo fiel die Frage schwer.
»Ja, sehr, bis
gestern. Aber wenn Marcel jetzt verhaftet wird …« Patrizia zitterte auf einmal.
»Patti, jetzt warte
doch erst mal ab …«
Beide wussten nicht
weiter. Patrizia stand auf. Jo auch.
»Ich geh jetzt.«
Patrizia trat von einem Fuß auf den anderen.
Jo zögerte, und dann
umarmte sie Patrizia. »Danke für deine Offenheit. Wirklich. Ich werde mit
Gerhard reden. Ich sag dir sofort Bescheid, wenn ich was höre. Und Patti –
Marcel hat wirklich Glück.« Sie fröstelte. »Und Patti – ich finde Neubauten gar
nicht so schlimm. Ehrlich. Da geht wenigstens die Heizung richtig.«
Beide lachten,
Patrizia erwiderte die Umarmung.
Jo trat ans Fenster
und sah ihr nach, wie sie ihren Corsa startete. Der Regen hatte aufgehört, und
der Wind hatte einige blaue Fenster in die Wolkendecke gerissen. Der Schnee
hatte mit bräunlichen Grasflecken eine Patchworkdecke gebildet, und Moebius
versuchte, auf der Wiese einen schneefreien Weg zu finden. Er übersprang die
Schneeflecken oder umlief sie. Gerade hüpfte er wieder und patsch – rein in
eine Pfütze. Angewidert schüttelte er die Pfoten. Moebius hasste nasse Füße. Jo
lächelte und seufzte tief. Sie setzte sich wieder an den Küchentisch, und im
selben Moment schoss Moebius herein. Mit einem beleidigten »Brr« sprang er auf
den Tisch und zog eine Spur possierlicher Abdrücke über ein paar Skripte. Er
machte noch mal indigniert »Brr« und begann, sich die nassen Pfoten zu putzen.
Jo schüttelte den
Kopf. »Ohne euch Viecher wäre ich aufgeschmissen. Ihr verwüstet zwar mein Haus,
aber nicht mein Herz. Wieso sind Menschen so kompliziert? Hmm, Moebius? Du bist
halt ein Tier mit klaren Bedürfnissen.«
Wie zum Beweis
sprang Moebi vom Tisch und ging zu seinem Futternapf. Jo sah ihm zu und war
plötzlich müde, grenzenlos müde. Wem sollte sie den Mord zutrauen? Martl oder
Marcel? »Moebi, warum ist das schon wieder eine Oder-Frage? Warum besteht mein
Leben aus stetigen Pendelbewegungen? Das muss doch alles mal ein Ende nehmen!
Los, Moebi, sag was.«
Der Kater machte
»Brr«, kletterte in einen Wäschekorb mit frischer Wäsche, den Jo schon seit
einer Woche hatte ausräumen wollen. Er formte einen Katzenkringel und schlief
sofort ein. »Du hast eine Art, mit dem Leben umzugehen! Einfach einschlafen.«
16.
Volker war im
Präsidium und wartete auf Marcel Maurer. Markus Holzapfel hatte ihn in der
Redaktion angerufen, Maurer hatte Sonntagsdienst.
»Der hat sich
richtig fröhlich gemeldet«, erzählte Markus. »Aber davon war wenig übrig, als
ich ihm gesagt habe, dass er augenblicklich hier auftauchen soll. Der
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