Schussfahrt
Der Karl sah aus dem Fenster.
»Nein, aber ich muss
wissen, ob er bei dir war. Ob er mit dir geredet hat«, sagte Jo lahm.
»Scho«, sagte der
Bauer nur.
»Schau, Karl, ich
will dem Martl helfen, er steckt in echten Schwierigkeiten, und dabei musst du
mir helfen.« Jo merkte, dass das alles so dumm klang.
»Muass i?« Karls
Stimme hatte sich nicht verändert.
»Nein, du musst
nicht, aber es könnte helfen.«
»S isch it guat,
wenn ma z nah an uim dra isch. Do ka man schleacht denka.«
Er wusste also auch
von ihrer Affäre, Jo wurde blass. Wie Recht er hatte! War ihre Objektivität
nicht sowieso getrübt? Sie glaubte, dass Martl nicht geschossen hatte, obwohl
alles gegen ihn sprach. Sie schwieg erneut.
»Es sind so viele
Fragen offen«, begann Jo erneut.
Das klang auch
wieder so dumm, verunsichert, pubertär.
»Ja, des Leaba isch
wie a Emmetalr, niets als Lecher.« Der Karl lächelte sie leicht an.
Jo musste
unwillkürlich auch schmunzeln. Die echten Wahrheiten waren so einfach!
»Trink no uin.« Karl
schenkte ihnen beiden nach. Er nippte an seinem Glas. »Du bischt a Guate,
Johanna, du hoscht a guats Herz, aber du pascht it auf di auf. Du muasch auf
dei Herz besser Obacht geabe.«
Jo schossen Tränen
in die Augen.
»’s isch scho wohr,
der Martl isch do gsi, immer amol wiedr, zerscht wäga seim Kreiz, aber dann hot
er halt au verzehlet.«
»Und was hat er dir
erzählt?«
»Mei woisch. Der
Martl, der hot Angscht ghett. Wias wird, wenn er amol numma Ski fahra ka. Er
wollt geara dahuim sei bei seine kluine Föhla, aber er hot au Angscht ghett,
dass des ihm nach seim Wanderleaba gar it so uifach fällt. Er hot gsagt, dass
er dia Katja ganz fescht liaba duat …«
Jo schreckte auf.
»Etzt schau it so,
Johanna. Des hosch du doch gwisst.«
»Ja sicher, aber es
tut trotzdem weh«, sagte Jo.
»Er hot au vo dir
gredet, dass du ihn verwirrsch.« Der Karl wiegte bedächtig den Kopf.
»Und?«
»I ho ihm gsagt,
dass a jedr Mensch, der di verwirrt, dia Gabe hot, dei Seele zu berühra.«
Ein schöner Satz,
fand Jo, erneut traten ihr Tränen in die Augen.
»Der Martl isch it
ureacht, aber der hot arg jung viel z schnell erwachsa wera miassa. Zviel Geld
und zviel falsche Freind und mei, i sag des jetzt amol so: zviel Fraua, die ihn
hond wölla. So nomas verdirbt.«
Jo nickte.
Natürlich, sie hatte es ihm auch viel zu leicht gemacht, und wie viele
Trainingslager und Gletscher-Ski-Tests gab es weltweit! Über die Jahre eines
solchen Skifahrer-Nomadenlebens gab es zu viele Gelegenheiten. Erfolg macht
sexy. Jo wusste, dass sie nicht die Einzige gewesen war – eigentlich wusste sie
das!
»Falsche Freunde? So
wie der Rümmele?« Jo straffte die Schultern.
»Der au, aber des
woisch au sell.«
»Sicher weiß ich das
auch, aber weißt du von dem Rennen?« Jo nahm einen Schluck von dem Obstler, der
mit Sicherheit von Karls Verwandtschaft vom Bodensee stammte. So fruchtig, als
würde man in einen Apfel beißen!
Sie begann, leise
die Geschichte zu erzählen, und schloss: »Und deshalb muss sich der Martl
unbedingt stellen.«
Der Karl zog ein
Schnupftabakfläschchen heraus, gab eine Prise zwischen Daumen und Zeigefinger
und schnupfte. Sie schwiegen.
»Hosch du mir alls
verzehlet?«, fragte der Karl bedächtig.
»Alles, was ich
weiß, alles, was der Martl dem Gerhard und mir erzählt hat. Wieso – weißt du
noch was anderes?«
Der Karl wiegte den
Kopf. »Des stimmt scho so alls. Er hot mir von dem Vertrag verzehlet und dass
er do naus muass. Aber es war it bloß weage dene Fäschtle beim Rümmele.«
»Sondern?« Jo
umklammerte ihr Glas.
»Er hot ja längscht
an andra Vertrag in Aussicht ghett. Uin, der au no noach seim Rücktritt golte
hätt. Aber bloß meh, wenn r den Rümmele los hot.« Karl stutzte, schien zu
merken, was er da gesagt hatte. Wenn er ihn los wurde.
»Was für ein
Vertrag?« Jo war gespannt.
»Mei, halt mit dene
Strumpfleit.«
»Strumpfleit?«,
fragte Jo und konnte sich keinen Reim auf das Ganze machen.
»Allet dia SAF , dia Strumpfherschteller halt.«
» SAF – Socks are Fun aus Sonthofen? Mit
denen wollte Martl einen Vertrag machen?«
»Des will i muina.«
Karl nickte mehrmals.
SAF , das war ein alteingesessenes
Unternehmen, das vor einigen Jahren von dicken Wollstrumpfhosen und grauen
Einheitssocken auf ein modernes Sportsocken-Sortiment umgestellt hatte. Für
jede Sportart gab es Socken: fürs Skifahren an den Schienbeinen gepolstert,
fürs Trekking an Ferse und Zehen und so
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