Schuster und das Chaos im Kopf - Kriminalroman
Mantel unterm Arm. »Den genauen Bericht bekommt ihr morgen, aber ich erzähl euch ein bisschen was, weil ihr es mal wieder nicht abwarten könnt. Sie wurde mit einem dünnen Seil, wahrscheinlich Nylon erwürgt, etwa 1mm Durchmesser. Keine Anzeichen eines Kampfes. Vielleicht ist sie betäubt worden, das kann ich jetzt noch nicht sagen.«
Er seufzte und kratzte sich am Kopf.
»Irgendwelche Spuren einer Vergewaltigung? Oder einer versuchten?«
»Nichts. Der Täter trug offenbar Handschuhe, vielleicht sogar Schutzkleidung, wer weiß. Und er räumt den Fundort so auf, dass wir nicht mal ein altes Taschentuch finden.«
»Du glaubst, er könnte einen Schutzanzug tragen? So was wie unsere Spurensicherung?«
Stello zuckte die Schultern. »Möglich wäre das. Ansonsten ist es kaum denkbar, dass wir so gar nichts finden.«
Er rieb sich die Hände. »Weiß jemand, was es heute in der Kantine gibt?«
Niemand schien zugehört zu haben.
Stello seufzte. »Bin noch gar nicht zum Essen gekommen. Sonst noch was?«
»Morgen vielleicht, Doc. Für heute langt’s mir.«
»Wer kümmert sich um die Zeugen?« Moritz Kuhn, der die ganze Zeit in der Ecke gestanden und schweigend zugehört hatte, blickte niemanden direkt an.
Schuster erhob sich. »Immer der, der fragt.«
Ein paar Tage später hatten sie die tote Frau immer noch nicht identifizieren können.
Gerade als Schuster mit seinen Kollegen darüber sprach, dass sie in der morgigen Zeitung ein Foto veröffentlichen wollten, wurde ein Telefongespräch zu ihnen durchgestellt.
Ein Mann sagte mit leiser Stimme: »Mein Name ist Benno Wolfrat. Ich versuche seit Tagen meine Schwester zu erreichen. Ich wollte sie als vermisst melden ...« Seine Stimme brach ab.
Schusters Magen zog sich zusammen. »Herr Wolfrat?«
»Ich hab auch schon im Club angerufen, sie ist nicht zum Dienst erschienen. Die tote Frau, die Sie gefunden haben ... Sagen Sie mir, dass das nicht meine Schwester ist.« Der Mann hatte beinahe geflüstert.
Schuster hatte ein brennendes Gefühl im Hals. »Wie sieht Ihre Schwester aus, Herr Wolfrat?«
»Carmen hat dunkle Haare, sie ist ziemlich groß, keine Ahnung, wie groß genau. Bitte ... sagen Sie mir, dass das nicht ...«
Schuster warf seinem Kollegen Grätsch einen verzweifelten Blick zu.
»Bitte kommen Sie zu uns, Herr Wolfrat.«
Während sie auf Benno Wolfrat warteten, stand Schuster am Fenster und starrte nach draußen. Er hatte zu viel Kaffee getrunken und sein empfindlicher Magen rebellierte. Er hatte große Lust, seinen Frust irgendwie abzureagieren.
Er sollte endlich mal wieder laufen gehen, das würde ihm gut tun.
Von was für einem Club hatte der Mann am Telefon gesprochen?
Noch während Schuster darüber nachdachte, klopfte es an der Tür.
Grätsch hatte eine weitere Kanne Kaffee für alle gekocht und stellte Schuster eine Tasse auf seinen Schreibtisch.
Ein Mann um die vierzig kam ins Zimmer und blickte sich nervös um. »Wolfrat«, stellte er sich vor. »Wir hatten miteinander telefoniert?«
Schuster wirbelte herum, er hatte nicht mal das Klopfen gehört.
Er zeigte auf den freien Stuhl vor seinem Schreibtisch, und der Mann ließ sich darauf nieder.
»Seit wann vermissen Sie Ihre Schwester, Herr Wolfrat?«
Schuster hatte sich wieder an seinen Schreibtisch gesetzt und schob Wolfrat seine Kaffeetasse zu. »Kaffee?«
Wolfrat nickte, machte aber den Eindruck, als habe er gar nicht zugehört. »Vorgestern Abend wollte ich sie anrufen, kurz bevor sie zur Arbeit fährt.«
»Moment.« Schuster hob eine Hand. »Wo hat Ihre Schwester gearbeitet?«
Hätte er besser fragen sollen: Wo arbeitet Ihre Schwester? Jetzt war es zu spät.
Wolfrat blickte auf. »Sie arbeitet in einer Bar, in der Nähe vom Bahnhof.«
Schuster nickte. »Und Sie haben sie nicht erreicht?«
»Nein.« Wolfrat schüttelte den Kopf. »Sie ist auch nicht im Club gewesen. Carmen ist immer zuverlässig, immer pünktlich ... Ich versteh das nicht.«
Schuster schon, zumindest befürchtete er es.
Er warf Grätsch einen fragenden Blick zu, der nickte nur.
»Wie Sie wissen, haben wir eine tote Frau gefunden, Herr Wolfrat«, begann Schuster.
Der Mann stand auf und lief zur Tür. »Das ist nicht Carmen. Das ist sie nicht.«
Gleich darauf kam er wieder zurück und blieb an Schusters Tisch stehen. Seine Hände hatte er zu Fäusten geballt.
»Es tut mir leid ... Ich muss Sie bitten mitzukommen.« Schuster stand ebenfalls auf und sah Grätsch auffordernd an.
Wolfrat schlug sich wacker.
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