Schuster und das Chaos im Kopf - Kriminalroman
müssen.
In den letzten Nächten hatte sie nicht besonders gut geschlafen. Vermutlich lag das daran, dass sie vor einigen Tagen nach Hause gekommen war und die Wohnungstür einen Spalt breit offen vorgefunden hatte.
Jemand ist in meiner Wohnung, war ihr durch den Kopf geschossen. Ihr Nachbar, ein junger Mann, war bereits – oder noch immer – auf den Beinen gewesen. Sie hatte bei ihm geklingelt und ihn gebeten, mit ihr hineinzugehen.
Die Wohnung war leer und nichts fehlte. Es machte nicht mal den Eindruck, dass irgendwer darin gewesen war.
»Muss an der Tür liegen. Altes Ding«, hatte ihr Nachbar gemeint.
Ja, das musste es sein. Vielleicht hatte sie sie einfach nicht fest genug hinter sich zugezogen. Trotzdem schlief sie seitdem schlecht und war bei der Arbeit hundemüde.
Sie gab Kaffeebohnen in den Automaten und schaltete ihn ein.
Er brummte, und augenblicklich duftete es himmlisch nach geröstetem Kaffee.
Carmen zog die Luft durch die Nase und schloss für einen Moment die Augen. Ein starker Kaffee würde ihr jetzt gut tun.
Als sie sich bückte, um Milch aus dem Kühlschrank zu nehmen, hörte sie, wie die Tür geöffnet wurde.
»’n Abend.« Eine tiefe, sympathische Männerstimme.
Sie blickte auf und sah einen Mann vor sich, der sie fragend ansah. »Sie haben doch noch auf?«
Sie nickte. Den Mann hatte sie bereits ein, zwei Mal hier gesehen. Sie vergaß selten ein Gesicht.
Der Mann schob sich auf einen Barhocker und blickte sich um.
»Sieht aus, als wäre ich der Letzte.« Er lächelte sie an.
Carmen nickte wieder. »Heute war nicht viel los.« Sie goss etwas Milch in die Tasse und rührte um. »Was darf ich Ihnen bringen?«
Der Mann schien etwas zu überlegen. »Vielleicht nehme ich auch einen Kaffee.« Wieder lächelte er. »Oder nein, warten Sie. Ich nehme einen Gin Tonic.«
Carmen drehte sich um und nahm eine Flasche Gin aus dem Regal. Schon jetzt freute sie sich auf ein heißes Bad, zuerst aber würde sie diese verdammten Schuhe ausziehen.
Sie goss etwas Gin in ein schmales, längliches Glas.
Der Mann sah ihr dabei zu. Er hatte ein freundliches, offenes Gesicht. Vielleicht hatte er Lust auf einen harmlosen kleinen Flirt, überlegte sie. Grundsätzlich war sie dem nie abgeneigt, es kam halt auf den Kerl an, der vor ihr saß.
Sie war es gewohnt zu flirten, etwas Ernstes war nie daraus geworden, das hatte sie auch nie beabsichtigt. Ihr Job erforderte es, dass sie den Kerlen ein gewisses Lächeln schenkte. Begrapschen ließ sie sich nie, und auch ihre Handynummer hatte sie noch keinem Kerl gegeben.
Der Mann vor ihr rutschte auf dem Barhocker hin und her, so als suche er noch immer eine halbwegs bequeme Position.
Er verzog das Gesicht etwas und blinzelte kurz.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie. Hoffentlich war der Kerl nicht schon angetrunken. Womöglich hatte er Lust weiterzutrinken, bis er irgendwann sternhagelvoll vom Hocker kippen würde.
Der Mann lächelte etwas gequält. »Ja, alles bestens.« Er rieb sich mit zwei Fingern die Schläfen.
Carmen holte eine neue Flasche Tonicwater und schraubte sie auf. Sie schenkte das Glas voll und schob es über den Tresen.
»Wohl bekomm’s.«
»Auf Ihr Wohl.« Der Mann setzte an und hielt dann inne. Er sah sie an. »Darf ich Sie auf einen Drink einladen?«
Eigentlich hatte sie nach dem Kaffee keine Lust auf einen Drink, aber sie wollte nicht unhöflich sein. Auch das gehörte zum Geschäft.
Sie nickte ihm zu, schaffte ein ungezwungenes Lächeln und nahm die angebrochene Flasche Chablis aus dem Kühlschrank. Sie liebte Chablis, ihr Lieblingswein. Wenn der Kerl wüsste, wie teuer der war, hätte er sich das mit der Einladung wahrscheinlich noch mal überlegt.
Sie drehte sich um und nahm ein Weißweinglas aus dem Regal.
Während sie sich den Wein einschenkte, überlegte sie, ob der Kerl zu der Sorte Mann gehörte, der in eine leere Wohnung kommen würde und das bis zuletzt hinauszögerte.
Sofort erwischte sie sich dabei, wie sie Mitleid empfand.
Unwillig schüttelte sie ihren Kopf. Sie hob ihr Glas an.
»Auf Ihr Wohl.«
Er lächelte. »Auf Ihres.«
Sie tranken beide einen Schluck.
Carmen stellte ihr Glas vor dem Zapfhahn hab und lehnte sich wieder an den Spiegelschrank. Mit einer Hand fuhr sie sich durchs Haar; eine Geste, die viele Männer durchaus missverstanden.
Der Kerl am Tresen legte seinen Kopf schief. »Wissen Sie was, ich glaube, ich nehme doch noch einen Espresso.«
Die Porzellantassen standen etwas weiter unten, weil sie
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