Schutzengel mit ohne Flügel
Auvinen bewirkt hatte: Sein Schützling hatte während der kurzen Frühlingsperiode mehrere Unfälle gehabt, dabei drei Gehirnerschütterungen in Folge erlitten, hatte es mit weltlichen Polizeibeamten zu tun bekommen und war überreichlich mit Frauen gesegnet, all das in sehr kurzer Zeit. Ein schrottreifer Leichenwagen, ein zweiter blutverschmiert, ein halbtotes junges Mädchen mit einer Schädeloperation …
»Und dann hast du diesem Verwalter aus eigenem Antrieb eine Frau besorgt. Wie der schlimmste Zuhälter. Als gestandener Mann in mittleren Jahren wird der Korhonen so etwas ja wohl noch allein schaffen.«
Sulo Auvinen verteidigte sich mit der Bemerkung, dass die Serviererin in der Mechelininkatu aus seiner Sicht zu jung und weltlich sei. War es nicht sinnvoll, dass man sich auch in Heiratspläne rechtzeitig einmischte?
Gabriel erklärte kühl, dass es nicht Aufgabe der Schutzengel sei, sich in das Liebesleben der Menschen einzumischen, das sollten sie unter sich regeln. Und außerdem: Was war aus Sicht eines Mannes falsch an einer jungen Frau? Sulo Auvinen gab zu bedenken, dass eine reife und unverheiratete Frau eher geeignet war, dem Mann, der stets anfällig für sündige Versuchungen war, in den Stürmen des Lebens Schutz und Schirm zu bieten.
Darauf sagte Gabriel, dass Sulo jederzeit von seiner Funktion als Schutzengel zurücktreten könne, wenn er der Meinung sei, dass sie ihn überfordere. Niemand werde ihn dafür tadeln. Im Grunde genommen wäre diese Lösung wahrscheinlich die beste für alle Beteiligten.
Sulo Auvinen bettelte und flehte, dass er weitermachen, es noch einmal versuchen dürfe.
»Nun, beten kannst du … als Religionslehrer. Wann bist du noch gleich gestorben?«
Sulo Auvinen berichtete, dass er vor vier Monaten an Lungenentzündung gestorben sei, zum Schluss sei das Fieber auf 41,3 Grad gestiegen. Er sei nach seinem Tod unsagbar glücklich gewesen, da er von seinen Qualen erlöst war, und besonders, da ihm ein eigener Schützling anvertraut worden sei.
Der Engel Gabriel erwähnte, dass er selbst bereits 1939 an der Front von Suomussalmi gestorben sei.
»Wir dürften etwa gleichzeitig zur Welt gekommen sein, warst du nicht bei deinem Tod zweiundachtzig Jahre alt? Ich wurde 1919 in Kuusamo geboren, und als ich starb, war ich zwanzig. Im Februar 1940 wäre ich einundzwanzig geworden, hätte man mich nicht in Suomussalmi erschossen.«
Sulo Auvinen regte die Flügel. Konnte es wahr sein, dass der Engel Gabriel im finnischen Winterkrieg gekämpft hatte und dort gefallen war? Er sagte, dass er 1922 geboren worden sei, worauf Gabriel konstatierte, dass es also doch einen Unterschied von zwei, drei Jahren hinsichtlich des Geburtsjahres gebe, obwohl Sulo sechzig Jahre älter sei.
»Ich bin tatsächlich schon länger als sechzig oder siebzig Jahre tot. So verrinnt die Zeit. Man registriert es hier im Himmel nicht so wie einst zu Lebzeiten als junger Mensch.«
Gabriel äußerte sich lobend darüber, dass Sulo seinem Familiennamen bemerkenswert treu geblieben war, weil er sich auch im Himmel wieder Auvinen nannte, so wie einst auf seinem irdischen Lebensweg. Er selbst, so sagte er, habe sich einst dazu nicht in der Lage gesehen, aber er habe seine Gründe dafür.
Der Engel fuhr fort, dass er im Himmel wohl für etliche Lacher gesorgt hätte, wenn er hier offiziell seinen einstigen Namen weitergeführt hätte.
»Ja, und wer warst du, damals zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts?«
»Ich war Kalle Määttä und bin es irgendwie immer noch, wenn ich natürlich auch schon seit Jahren tot bin.«
Sulo überlegte, wie sich »Engel Kalle Määttä« anhören würde, und fand, dass es jedenfalls nicht sehr fromm und zumindest bibelhistorisch gesehen nicht gerade seriös klang.
»Bedenke, dass ich in einem laestadianischen Elternhaus groß geworden bin, unsere Familie war sehr fromm. Jetzt im Nachhinein und kühl betrachtet, sind die Määttäs natürlich ebenso gute und wunderbare Engel wie andere, also zum Beispiel all die Gabriels und so weiter. Aber zweifellos weckt »Erzengel Määttä«, nur mal als Gedanke, zumindest unter den sündigen Spottdrosseln kein sehr großes Vertrauen.«
Gabriel erzählte, dass es seines Wissens im Himmel mindestens Tausend Gabriels und Tausende heilige Petrusse und andere gab, das war Fakt. Auch er selbst hatte sich schon zu Lebzeiten daran gewöhnen müssen, dass in seiner Heimatgegend Tausende Leute desselben Namens lebten, obwohl Kuusamo, Posio und
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