Schutzengel mit ohne Flügel
Nuutinen gesellte sich dazu und verkündete ihre Meinung, die da lautete, dass es sich für eine Serviererin wohl gehört hätte, den Geschäftsinhaber zu fragen, wie das Café heißen soll, ehe sie irgendwelche Schilder anbringt. Aber sie, Ritva Nuutinen, ging die Sache ja nichts an.
Aaro dankte den Frauen für die Neuerungen und bat sie, sich zu beruhigen. Seiner Meinung nach gab es keinen Grund für einen Streit. Beim letzten Wortgefecht war immerhin ein Unfall die Folge gewesen.
Viivi zog sich ins Café zurück, Fräulein Nuutinen sortierte weiter Bücher.
Aaro rief in der Abteilung für Wirtschaftsdelikte im Polizeipräsidium an und bat, den Ermittler sprechen zu dürfen, der ihn der Geldwäsche beschuldigt hatte. Polizeiobermeister Niemelä sagte ihm, dass die Untersuchungen in seiner mysteriösen Bankangelegenheit noch liefen und dass er, Niemelä, momentan weder Zeit noch Lust habe, sich am Telefon dazu zu äußern. Aaro erklärte, dass ihn die besagten Ermittlungen eigentlich gar nicht interessierten, sondern dass er unlängst zum Verwalter der OY Mechelinin Onnela-Wohnungsgesellschaft gewählt worden sei und nur wissen wolle, wer die Ermittlungen im Falle seines Vorgängers leite. Niemelä verschwand, um nachzufragen, es dauerte einige Zeit, und als er wieder an den Apparat kam, verkündete er, dass er den Fall ebenfalls selbst übernehme.
»Da geht es offenbar um Unterschlagung. Gegen den Mann wurde Anzeige erstattet. Sie können kommen und sich über den Vorgang informieren, wann immer es Ihnen passt.«
Aaro Korhonen sprudelte über vor Energie, und so etwas wie Glück nahm von ihm Besitz. Sein Kopf dröhnte nicht mehr, und ihm war nicht mehr schwindelig, obwohl das Gehirn drei Mal hintereinander erschüttert worden war. Er freute sich einfach darüber, dass er einen so harten Schädel hatte.
Jetzt besuchte er auch Sari Heinänen im Krankenhaus von Töölö. Sie war bereits auf die Station verlegt worden und konnte auch schon wieder sprechen, war aber noch schwach. Aufstehen konnte sie noch nicht. Ihre Eltern erschienen ebenfalls, um nach ihrem Kind zu sehen, und sie dankten Aaro Korhonen gerührt für die Fürsorge. Wie sie sagten, hatten sie den Eindruck gewonnen, dass keiner der beiden Beteiligten Schuld an dem Zusammenstoß trug, sondern dass da ein Unglück passiert war, mit dem kein Mensch rechnen konnte. Aaro erklärte, dass er gern all jene Behandlungskosten übernehmen wolle, die die Versicherung nicht zahle. Als er ging, sah er auf dem Gesicht des Mädchens ein vertrauensvolles Lächeln.
Aaro und Oskari kamen überein, dass sie in ein, zwei Wochen nach Schweden fahren würden, um für Lindell einen neuen Leichenwagen zu kaufen. Rechtzeitig vor Mittsommer würden sie zurück sein, denn gegen Ende des Monats würde der Wagen daheim gebraucht. Während des schönsten Festes des Sommers ertranken eine Menge Menschen, viele starben auch am Alkohol oder bei Schlägereien. In den Wochen nach Mittsommer hatte die Branche Hochsaison in Finnland.
Fräulein Nuutinen hatte für Aaro Zweitschlüssel seiner Wohnung anfertigen lassen, obwohl er ein wenig verschnupft bemerkte, dass er die als Hausverwalter nicht gebraucht hätte, jedenfalls keine für seine eigene Wohnung, hatte er doch Schlüssel für sämtliche Wohnungen im Haus. Fräulein Nuutinen kümmerte sich nicht um seine Worte, sondern überreichte ihm das klimpernde Bund. Am Schlüsselring hing ein silbernes Plättchen, in das die Nuutinen vom Goldschmied Aaros Namen und zwei Herzen hatte eingravieren lassen.
Die erste Nacht nach seiner Rückkehr aus der Klinik schlief Aaro im Bibliothekszimmer seiner Wohnung auf dem Sofa, aber da es kurz und hart war, legte er sich zu späterer Stunde neben Fräulein Nuutinen ins breite Bett und schlief dort tief und fest bis zum Morgen. Am nächsten Abend ging er aus dem Haus und wanderte bei frühsommerlichem Wetter über den Friedhof von Hietaniemi. Viivi rief an und erzählte, dass sie ihm zwei interessante Bücher besorgt habe. Es seien Geschenke, weil Aaro aus der Klinik entlassen worden sei. Sie brachte ihm die Bücher auf den Friedhof, wo es bereits so schummerig war, dass er den Text nicht mehr lesen konnte, aber die Titel konnte er noch erkennen, das eine war Caroline Alexanders Endurance. Shackletons legendäre Antarktis-Expedition (Otava 1999) und das andere I.K. Inhas Bildband Landschaften des Nordens um die Jahrhundertwende (WSOY 1957).
Viivi und Aaro spazierten mit den Büchern in den Händen
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