Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)
Sand unten im Kessel muss nachrutschen können. Dafür musst du die Schaltung einmal loslassen und dann wieder anfangen. Könnte aber auch ein kleiner Stein sein, der die Düse verstopft. Ich komm mal mit.»
Tatsächlich hat sich der Staub inzwischen gelegt. Das Atmen ist noch immer unangenehm, aber wesentlich erträglicher als vorhin. Adam kontrolliert die Düse und schüttelt den Kopf.
«Musst du einfach an und aus machen, okay?»
Gesagt, getan. Nachdem ich die Schaltung mehrmals drücke und wieder loslasse, kommt wieder Sand herausgeschossen.
Adam steht an der Seite und hält mir seinen nach oben gestreckten Daumen entgegen. Bei dem Krach und mit diesen klobigen Handschuhen bleibt mir nichts anderes übrig, als die Geste zu erwidern. Ich fand dieses «Thumbs up» eigentlich immer etwas stupide, doch hier, ähnlich wie beim Tauchen oder im All, macht es wahrscheinlich Sinn. Wie anders soll man sich auch verständigen bei diesem ohrenbetäubenden Lärm, verkleidet als Space Cowboy?
In den nächsten Stunden gewöhne ich mich langsam an das Sandstrahlen. Die Vorstellung, dass ich mich hier durch einen Wüstensturm kämpfen muss, gefällt mir. Das monotone Strahlen auf das immer gleiche Ziel mache ich mir unterhaltsamer, indem ich Muster male und sie dann wieder ausradiere. Das Resultat bleibt eine blanke Fläche, nur habe ich mehr Spaß dabei.
Irgendwann, ich habe mein Zeitgefühl inzwischen völlig verloren in diesem Sandgetöse, muss ich auf die Toilette. Das Dixi-Klo stinkt schon aus der Ferne bestialisch. Ich traue mich kaum, die Tür zu öffnen. Und dann ist es tatsächlich noch schlimmer, als ich erwartet hätte: Die Scheiße türmt sich bis kurz unterm Deckel. Im Urinal steht braune, dickflüssige Brühe. Der Name Fliegenschmidt ist jetzt mehr Programm denn je, es wimmelt von dicken, grünen Schmeißfliegen. Es ist einfach unfassbar widerlich. Nein, da kann ich nicht reinpinkeln. Womöglich spritzt die Suppe sonst noch hoch.
Jetzt kann ich auch die Luft nicht länger anhalten, stoße die Tür auf und mache einen weiten Satz nach draußen. Nachdem ich als Alternative einen Baum am Ostgiebel gewählt habe, winkt Rainer mich zu sich rüber. Er steht an seinem Opel unter der geöffneten Kofferraumtür.
«Ganz schön anstrengend dat Strahlen, wat? Willstn Schluck? Macht einen wieder munter.»
«Ah, der gute alte Unicum. Nee, danke.»
«Den kennst du, den Schnaps?»
«Klar, das Zeug haben wir damals in Budapest getrunken wie Wasser», und für einen Moment verliere ich mich kurz in einer süßen Erinnerung.
«Donnerwetter! Wenn du den auch so gern trinkst, dann müssen wir unbedingt mal zusammen einen kippen. Was haste denn da gemacht?»
«Freunde besucht, ein bisschen gearbeitet und diese herrliche Stadt genossen. Ein paar Wochen lang.»
«Hab da auch gearbeitet, drei Monate. Stimmt, is echt ’ne geile Stadt. Und wat für scharfe Weiber! Da drehste am Rad! Tomasz war damals auch dabei. Weißte wat, komm doch einfach ma mit zu unserer Wohnung. Und dann heben wir einen und reden über dat schöne Budapest!»
Nebenbei plärrt die ganze Zeit sein Autoradio. Es geht um das Halbfinalspiel Deutschland gegen Italien, das in drei Tagen stattfindet. «Elf kleine Italiener …», schrillt es aus den Lautsprechern. Unfassbar, da hat wirklich jemand das alte rassistische Kinderlied von den «Zehn kleinen Negerlein» für dieses Spiel umgedichtet. Und die spielen das auch noch im Radio!
Ich verspreche Rainer, dass ich in der folgenden Woche mal «auf einen Unicum» bei ihnen in der Bude vorbeischaue, und gehe – immer noch leicht fassungslos wegen dieser Fußball-Idiotie – zurück ans Werk.
«Da waren es nur noch zwei … Zwei kleine Italiener …», höre ich noch ganz leise, als ich im Treppenhaus verschwinde. Danach gibt es nichts Schöneres, als in meinem Sandsturm zu verschwinden und die Welt auszublenden.
Am Abend nehme ich trotz der Hitze ein heißes Bad, denn der Sand hat sich bis in die letzte Pore eingenistet. Die Fenster weit geöffnet, döse ich langsam in dem verdreckten Wasser ein. Und da war es nur noch einer.
Deutschland hat verloren. Die elf kleinen Italiener waren eine Nummer zu groß.
Am nächsten Morgen ist die Stimmung auf der Baustelle schlecht, und verkatert sind wir auch noch. Zu allem Überfluss hat jemand in der Nacht fast alle Stromkabel gekappt. Peter, der selbsternannte Security-Mann, hat nichts mitbekommen. Jetzt ist er stinksauer abgezogen, um neue Kabel und
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