Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)
und dränge mich zu Tomasz und Pawel auf die enge Rückbank. Rainer hockt hinterm Lenkrad, neben ihm sitzt breitbeinig Adam. Es ist Mittwoch, was bedeutet, dass der Schweißgeruch der vier so langsam ins kaum Erträgliche kippt.
Rainer nimmt eine Hand vom Steuer und streckt sie über die Rückbank.
«Tomasz, gib mal ’n Bier rüber.»
Der glotzt aber nur aus dem Fenster und reagiert nicht. Also wird Rainer deutlicher.
« TOMASZ ! PIWO !»
Jetzt zuckt er kurz zusammen, greift nach hinten und reicht Rainer ein Bier rüber. Es dauert nicht lange, da hat jeder von uns so eine pisswarme Flasche in der Hand.
«Ja, dann: Na zdrowie!»
«Na zdrowie!», ertönt es um mich herum, und die Glasflaschen stoßen klirrend aneinander.
Boah, wie widerlich! Ich hasse warmes Bier, und das hier ist kurz vorm Kochen. Kein Wunder, der Bus stand den ganzen Tag in der sengenden Sonne. Hoffentlich haben die wenigstens einen Kühlschrank in der Bude.
Es geht in Richtung Friedrichshain, vorbei am neuen Ostkreuz-Bahnhof, der in Metall und Glas funkelt. Rainer stoppt den Kleinbus schließlich in der Neuen Bahnhofstraße. «Wir holen noch was zu fressen von der Dönerbude da an der Ecke.» Rainer deutet mit dem Finger auf das Ende der Straße. Von weitem kann ich das Schild
Döner Paradies
erkennen, darunter dreht sich hinter der Scheibe ein kolossaler Fleischberg.
Weil ein Freund hier lange gewohnt hat, kenne ich den Kiez gut. «Macht das, Jungs. Ich gehe dann kurz zu dem Falafel-Laden da vorne. Der ist wirklich super. Will einer mit?»
«Nee, lass ma. Wir brauchen Fleisch. Wir treffen uns hier wieder.»
Rainer ist schon losgelaufen und richtet sich seine Kappe. Pawel und Tomasz nicken die ganze Zeit nur.
Aus unseren Plastiktüten duftet das warme Essen und übertüncht das muffig riechende Treppenhaus. Adam und Pawel sind zusätzlich bepackt mit zwei weißen Plastiktüten, in denen etliche Flaschen klimpern. Bier vom Späti gegenüber.
Ich betrete eine dieser typischen unsanierten Altbauwohnungen in Berlin: Ein langgezogener Flur, von dem die Zimmer nach links und rechts abgehen. Hohe Decken, rötliche Holzdielen und alte Doppelflügel-Fenster, deren Lack abblättert.
Sofort erkenne ich den widerlichen Geruch, der mir in die Nase steigt. Und diesmal geht es ausnahmsweise nicht um die Ausdünstungen der Jungs. Was so stinkt, ist die elende Ochsenblutfarbe, mit der früher die Dielen versiegelt wurden. Das Zeug riecht so unangenehm, dass ich mich sofort an einen Berlinbesuch vor einigen Jahren erinnere. Nach zwei Tagen in der Wohnung einer Freundin hatte sich der Mief bereits so stark in sämtlicher Kleidung breitgemacht, dass sogar die Leute in der U-Bahn Abstand zu mir hielten. Zumindest habe ich mir das damals eingebildet.
Am Ende des Flurs liegen aufgerollte Schläuche und Werkzeug auf dem mit Ölflecken besudelten Boden verteilt. Die winzige Küche ist zugestellt mit Leergut. Zwei große blaue Müllsäcke lehnen zugeschnürt an der Spüle. Der dritte ist noch offen, aber prall gefüllt. Oben quellen Pommes-Schälchen voller getrockneten Ketchups und Burger-Kartons mit ranzigen Salatfetzen heraus.
Das Spülbecken ist durch die Säcke versperrt, aber es scheint sowieso nicht in Gebrauch zu sein. Ich sehe weder Töpfe noch Teller, und der Gasherd ist auch noch auffällig sauber. Der kleine Tisch ist bedeckt mit auseinandergeschraubten Düsen und unzähligen kleinen Schrauben und Gummiringen. Eins scheint klar: In dieser Küche wird weder gekocht noch gegessen.
Dies also ist die Arbeitswochen-Behausung von Rainer und den Jungs. Eine minimalistische Ferienwohnung, die ausschließlich mit IKEA -Produkten eingerichtet ist. Nach Urlaub sieht es hier aber nicht aus. Die Jungs haben offenbar ganze Arbeit geleistet. So kann man eine kleine Wohnung in wenigen Wochen komplett abranzen.
Zum Essen gehen wir ins Wohnzimmer, wo ein ausgeklapptes Sofa steht, das von Bierflaschen umrandet ist. An der Wand stapeln sich Pizzakartons und DVD -Hüllen zu kleinen Türmchen. Zentral steht der Fernseher, den Adam auch prompt einschaltet. Ich stelle mir bildlich vor, wie die vier hier jeden Abend nach der Arbeit vor der Glotze hocken und sich ein Pils nach dem anderen reingießen.
Zwei schwarze Beistelltischchen werden mit der Hand leergefegt, und Rainer bringt aus der Küche noch einen Stuhl für mich. Tomasz und Pawel setzen sich aufs Sofa-Bett, packen drei Döner aus und holen aus der zweiten Tüte dann noch für jeden Pommes mit Currywurst.
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