Schutzlos: Thriller (German Edition)
den Bildschirm, dann druckte ich die Dokumente aus und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Dabei musste mein Gesichtsausdruck etwas verraten haben, denn die Stimmung im Raum hatte sich verändert. Es herrschte eine gespannte Erwartung.
Ich las die vier, fünf Seiten sorgfältig noch einmal durch. Dann sah ich meine Mandanten an. »Es ist nicht Maree. Sie hat nichts mit Loving zu tun.«
Joanne seufzte. »Ich dachte nur, wegen Allende …«
»Meine Mitarbeiterin hat gerade mit ein paar Leuten gesprochen, die an der Untersuchung beteiligt sind«, fuhr ich fort. »Sie kennen den Mann auf dem Bild. Er ist der Sohn seiner Geliebten. Hat nichts mit irgendwelchen illegalen Unternehmungen zu tun. Auf dem USB-Stick waren nur Downloads von Musik. Selbst wenn sie gesehen hätten, dass Maree Bilder macht, wären sie nicht daran interessiert gewesen, Loving anzuheuern, um Informationen von ihr zu erpressen.«
Joanne schüttelte den Kopf. Vielleicht sagte sie noch etwas, ich weiß es nicht. Ich las die Dokumente, die DuBois geschickt hatte, ein drittes Mal durch, um ganz sicher zu sein.
Sie hingen schlaff in meiner Hand.
»Meine Mitarbeiterin hat noch etwas herausgefunden«, sagte ich.
»Was?«, wollte Ryan wissen.
»Die Antwort – den Grund, warum Loving engagiert wurde.« Ich sah Joanne direkt an.
Sie erstarrte. Ihr Blick ruhte auf den Blättern in meiner Hand, als würde sie den Leichnam eines Angehörigen identifizieren.
Mit einer tiefen, harten Stimme, die sich sehr von dem Tonfall unterschied, den wir das ganze Wochenende von ihr gehört hatten, sagte sie zu mir. »Das ist kein Problem, Corte. Es wurde überprüft.«
Maree starrte ihre Schwester an. Ryan musterte das gerötete Gesicht seiner Frau mit den straff gespannten Lippen und fragte: »Wovon redest du?«
Ich gab die Antwort an ihrer Stelle. »Henry Loving ist hinter Ihrer Frau her, nicht hinter Ihnen.«
44
»Was?« Er lachte.
Eine endlos lange Weile sprach niemand, und niemand rührte sich. Die einzigen Geräusche, die man hörte, waren der Wind und das Klappern der Eismaschine im Kühlschrank.
Joanne trat kopfschüttelnd ans Fenster. Ich betrachtete ihre kühlen Augen, und eine Reihe von Rätseln löste sich auf.
»Was soll das heißen?«, fragte Maree an mich gewandt. »Was hat Jo mit der ganzen Sache zu tun?«
Ich antwortete nicht.
»Jo!«, fuhr Maree sie an. »Sag etwas! Wovon redet er?«
»Nun?«, sagte ich mit Nachdruck. Ich brauchte Antworten, und ich brauchte sie sofort.
Erneut antwortete sie mit kühler und ruhiger Stimme. »Ich habe es Ihnen gesagt, Corte. Es wurde überprüft. Es gibt kein Problem. Vergessen Sie es.«
»Überprüft?«, murmelte Ryan.
Sie ignorierte ihn und sprach zu mir. »Glauben Sie nicht, dass
das das Erste war, was mir in den Sinn gekommen ist? Sobald ich hörte, dass möglicherweise ein Lifter auf uns angesetzt war … Noch in derselben Minute habe ich angerufen. Ein Dutzend Leute haben es überprüft. Sie haben nichts gefunden. Nicht das Geringste.«
»Henry Loving arbeitet nur für Leute, über die man sehr, sehr schwer etwas herausfindet.«
»Und die Leute, von denen ich spreche«, antwortete sie ruhig, »sind ebenfalls sehr, sehr gut.«
»Jo, was ist hier los?«, fragte ihr Mann völlig perplex.
»Warum haben Sie es mir nicht gesagt?«, fragte ich sie.
Ihr Gesicht war eine angewiderte Maske.
»Warum?«, wiederholte ich.
»Es steht mir nicht frei, es Ihnen zu sagen«, erwiderte sie in grobem Tonfall.
»Beantwortet vielleicht mal jemand meine Frage, verdammt?«, sagte Ryan schneidend. Seine erstaunte Heiterkeit war wie weggeblasen.
»Ry, Schatz … Es tut mir so leid. Ich kann nicht. Es ist sehr kompliziert.«
»Dann vereinfach es. Keinen Quatsch. Sag es mir.«
»Kann ich sehen, was Sie haben?«, fragte mich Joanne.
Ich reichte ihr die Seiten. Ihre erste Reaktion war professionell. Sie überflog mit zusammengekniffenen Augen die Seiten, die alle den Stempel »Top Secret« trugen – ein Klischee, aber in der Tat die höchste Geheimhaltungsstufe für Dokumente, die von der US-Regierung benutzt wird.
Ein Nicken. »Wie sind Sie in diese Server hineingekommen?« Sie schüttelte den Kopf. »Egal, egal …« Ein Seufzen. »Ich wusste wohl von Anfang an, dass es dazu kommen würde.«
An ihre Schwester und ihren Mann gewandt, erklärte ich: »Wie es aussieht, hat jemand aus Joannes Vergangenheit Henry Loving angeheuert.«
»Ein Exfreund oder was?«, fragte Maree, vermutlich weil sie an unsere
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