Schutzlos: Thriller (German Edition)
je durchmachen werden. Sie sagen schreckliche Dinge unter diesen Umständen. Aber sie meinen sie nicht so. Was aus ihnen spricht, ist ihre Angst, ihr Frust.«
Einige Minuten vergingen, und ich betrachtete den Fluss. Ich hatte Dutzende von Malen Mandanten in diesem sicheren Haus gehabt, und ich bin die gesamte Grundstücksgrenze abmarschiert, um Angriffs- und Verteidigungspositionen zu identifizieren; ich habe Bäume fällen oder pflanzen lassen. Aber ich muss sagen, trotz meiner Liebe zu Orientierungslauf und Spurenlesen habe ich mir nie wirklich Zeit genommen, den Ort zu genießen.
Ich wandte mich wieder Maree zu und bemerkte, dass sie sich den Arm rieb.
»Warum hat Andrew Ihnen wehgetan?«
Sie ließ den Kopf sinken. »Sie haben mir die Geschichte mit dem rüden Geschäftsmann nicht abgenommen, was?«
»Nein.«
»Wie sind Sie drauf gekommen?«
»Ich mach diesen Job schon sehr lange.«
Ich hatte erwartet, dass sie abblocken würde, aber sie überraschte mich, indem sie fast sofort antwortete. »Die Frage ist, was ich nicht getan habe.« Ein merkwürdiges Lachen. Freudlos und kalt wie Stein. »Und wissen Sie was, Corte, das Erschreckende ist, dass ich es nicht mehr weiß. Wahrscheinlich habe ich nicht das richtige Essen gekocht, oder ich habe das richtige Essen gekocht, aber auf die falsche Weise. Oder ich habe zu viel Wein getrunken, als seine Freunde da waren. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass er mich gepackt hat … gepackt und gedreht. Eine Sehne ist gerissen.« Sie griff sich ans Gelenk. »Ich habe fast die ganze Nacht geweint, als es passiert ist. Nicht weil es wehtat. Sondern weil ich immer dachte, andere Leute verletzen sich den Ellbogen beim Skifahren oder Windsurfen mit den Leuten, die sie lieben. Aber nicht so bei mir, nein. Ich war verletzt, weil der Mensch, den ich liebe, mich verletzen wollte.«
Sie sah auf ihre Kamera hinunter. »Aber das ganze Leben ist ein Tauschgeschäft, oder? Ich meine, wer kriegt schon hundert
Prozent? Ich bekomme Aufregung, Tatkraft, Leidenschaft. Andere Frauen kriegen Langweile und einen Trinker.« Sie sah nicht zum sicheren Haus zurück. »Ich bevorzuge das aufregende Leben und einen blauen Fleck hin und wieder.« Sie stieß ein heiseres Lachen zwischen den pinkfarbenen, schmalen Lippen hervor. »Das ist politisch wohl nicht sehr korrekt. Aber so ist es nun mal. Ich bin wenigstens ehrlich.«
Ich stritt lange mit mir. Lange und intensiv. Ich stieg vorsichtig auf den Sims hinunter und setzte mich neben sie. Sie ließ es geschehen. Es war sehr eng, und unsere Beine berührten sich. Ich hasste es, dort oben zu sitzen, und ich muss zugeben, ich war froh um den Trost ihrer Nähe.
Ich überlegte, wie viel ich ihr erzählen sollte. Ich legte ein Maß fest und sagte: »Ich habe kurz nach dem College geheiratet.«
»Jo sagte, dass Sie jetzt Single sind. Ich habe mich schon gefragt, ob sie je verheiratet waren. Sie haben Amanda auf eine Weise angesehen, wie ein Vater oder Onkel ein Kind ansieht. Hatten Sie Kinder?«
Ich zögerte wieder und nickte schließlich, aber aus meiner Miene wurde deutlich, dass ich nicht darüber sprechen würde. Maree spürte, dass sie eine Grenze überschritten hatte. Sie wollte etwas sagen, tat es aber nicht. Ich fuhr rasch fort. »Nachdem wir ein paar Jahre verheiratet gewesen waren, gab es eine kritische Situation. Einen Mann aus der Vergangenheit meiner Frau, der zum Problem wurde.«
Maree hatte vielleicht bemerkt, dass ich »meine Frau« sagte und nicht »meine Exfrau«, was ihr eine Information übermittelte. Sie war klüger, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Sie legte teilnahmsvoll die Stirn in Falten, worauf ich nicht einging.
»Sie hatten zusammen gearbeitet.« Ich zögerte. »Sie waren beide Single gewesen. Sie gingen ein paarmal zusammen aus…
sie verbrachten ein, zwei Nächte miteinander.« Maree wirkte fast erheitert über meinen zarten Euphemismus. »Das war ein paar Jahre, bevor Peggy und ich uns kennengelernt haben.«
»Hatte der Typ ebenfalls ein Problem mit seinem Temperament? Wie Andrew?«
»Nein. Er war der netteste Kerl der Welt. Ich habe ihn kennengelernt.«
»Sie haben ihn kennengelernt?«
»Sie arbeiteten im selben Beruf. Sie sahen sich gelegentlich.«
Peggy und er hatten ihre Assistenzarztzeit am selben Krankenhaus absolviert. Diese Einzelheiten erzählte ich Maree jedoch nicht. »Dann war Schluss zwischen ihnen, und sie hat mich kennengelernt. Nach ein paar Jahren tauchte er wieder auf. Rief nur
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