Schutzlos: Thriller (German Edition)
und Gewerbegebiet namens Tysons Corner, das Zagaew aus der entgegengesetzten Richtung anzusteuern schien.
Mein Gegner … was wird er unternehmen?
In der Spieltheorie behaupten die Anhänger des Statistikers Thomas Bayes, der im 18. Jahrhundert lebte, die Welt bestünde aus sich ständig änderndem Wissen, und man müsse mit jeder neuen Information seine Vorhersagen über die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisse – in diesem Fall, was Zagaew plante – anpassen. So ändert sich zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit, dass dein Gegner Stein spielt statt Schere oder Papier, von 33,3 Prozent zu weniger, wenn du erfährst, dass er ein Muskelproblem hat, das ihm Schmerzen bereitet, wenn er eine Faust macht.
Doch bei Zagaew gab es nur sehr wenige Informationen, um meine Voraussagen zu seinem Verhalten überhaupt einzugrenzen und eine vernünftige Strategie zu entwickeln, wie ich mit ihm umgehen sollte. Er würde die Antworten darauf haben, was Joanne Kessler wusste, die Identität weiterer Auftraggeber kennen, wenn er nicht allein arbeitete. Und natürlich würde er wissen, wo Henry Loving war oder wie man ihn fand.
Sollten wir ihm weiter folgen, sollten wir ihn verhaften, sollten wir seine Angestellten überwachen?
Ich überfuhr eine rote Ampel und war froh, dass die Polizei woanders beschäftigt war. Ich steckte meinen Knopfhörer ins Ohr und rief Freddy an.
»Ja, Corte? Ja?«
»Wo ist er?«
»Route 7, in Richtung Norden. Rund fünf Minuten vor Tysons Corner.«
Ich fuhr auf der Route 7 nach Süden. Und war ebenfalls fünf Minuten von Tysons entfernt.
»Wir sind eine halbe Meile hinter ihm«, fügte Freddy an. »Er benimmt sich wie ein braver Bürger, hält bei Orange, lässt Fußgängern den Vortritt.«
Nicht aufzufallen war dem Tschetschenen also wichtiger, als mit seinen Waffen schnell irgendwohin zu kommen. Es war eine weitere Information, aber sie war nicht sonderlich hilfreich.
»Teams?«, fragte ich.
»Zwei. Wir halten uns zurück und verlassen uns auf GPS.«
»Hat Zagaew telefoniert?«
»Wir haben nichts aufgefangen, seit er und Loving vor vierzig Minuten aufgelegt haben.«
»Ihr überwacht die Telefone seiner Angestellten und ihrer Verwandten?«
»Hey, Corte, wir machen das nicht zum ersten Mal.«
Ich erinnerte ihn nicht daran, dass niemand in Williams’ Organisation und beim FBI daran gedacht hatte, die Familienangehörigen der Angestellten zu berücksichtigen, ehe ich den Vorschlag machte.
»Okay«, sagte Freddy. »Er bewegt sich weiter gleichmäßig. Führt uns direkt in Lovings Arme.«
Tat er das?
Unvollkommene Information …
»Irgendwas stört mich«, sagte ich.
»Mit Ihnen würde ich nicht gern zu einem Ballspiel gehen,
Corte. Sie sind so negativ. Waren Sie schon mal bei einem Ballspiel?«
»Ich glaube nicht, dass er zu Loving fährt.«
»Warum nicht?«
»Die meisten Auftraggeber sind auf Abstand zu ihren Liftern bedacht. Ist sicherer für sie.«
»Er bringt ihm die Waffen.«
»Loving braucht keine Waffen von seinem Auftraggeber«, stellte ich klar. »Er hat selbst genug. Auf jeden Fall hat sein Partner genug.«
»Was wollen Sie mir sagen?«
»Ich möchte Zagaew festnehmen, nicht beschatten.«
»Warum?«
Bayes’ spieltheoretische Analyse war keine große Hilfe. Ich hatte keine Informationen, weder vollkommene noch andere. Ich sagte Freddy die Wahrheit. »Nur so eine Ahnung.«
Es blieb einen Moment still.
»Aber wenn wir ihn nicht schnell stoppen«, sagte Freddy dann, »wird er Loving und etwaige andere Auftraggeber per Telefon oder SMS warnen. Sie werden verschwinden. Wir riechen meilenweit nach FBI-Fahrzeugen. Er wird uns kommen sehen.«
Er hatte recht.
»Welches Fahrzeug fährt er?«, fragte ich.
»Einen silbernen 7er BMW.« Er gab mir das Kennzeichen durch.
»Und wo genau ist er jetzt?«
»Er fährt gerade nach Tysons hinein. Er passiert das Geschäftsviertel, biegt auf die Holly Lane. Ich glaube, er ist auf dem Weg zur Mautstraße.«
»Wenn er auf die kommt, gibt es keine Möglichkeit, ihn zu ergreifen, bevor er eine Nachricht absetzen kann. Er wird euch kommen sehen.«
Ich war jetzt ebenfalls in Tysons. Ich gab Gas und bog auf eine Straße, die die Holly Lane überquerte. Ich hielt an, stieg aus und tat so, als würde ich das Angebot eines Obst- und Gemüsestands am Straßenrand studieren, während ich die Straße unter mir beobachtete, auf der sich Zagaew nähern musste.
»Ich rufe später wieder an, Freddy.«
Bald darauf sah ich einen silbernen BMW auf
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