Schutzlos: Thriller (German Edition)
Agenten und ich. Wir hätten ihn uns schnappen können.«
Er dachte an den Plan, Loving festzunageln, den ich ihm früher erklärt hatte.
Ich sah ihn wissend an, dann wieder auf die Straße. »Die Agenten in dem Wagen waren aber nicht einsatzfähig.«
»Stimmt, aber…«
»Ich habe überlegt, ob wir einen Zugriff versuchen sollen, aber die Umstände waren nicht günstig. Ich hatte Angst, er könnte Mrs. Knox hineinziehen oder vielleicht noch weitere Geiseln aus der Nachbarschaft. Er bringt ständig Unbeteiligte ins Spiel. Das ist eins seiner Markenzeichen.«
»Ja, da haben Sie wohl recht«, sagte Ryan langsam. »Daran habe ich nicht gedacht.«
Er fuhr fort, den bewaffneten Begleiter zu spielen. Ich sah zu ihm hinüber. Es sah aus, als hätte er keine Ahnung, dass er hereingelegt wurde.
Wie mich mein Mentor gelehrt hat, und wie ich es DuBois beizubringen versuche, fragt man sich immer: Was ist mein Ziel, und wie erreiche ich es am effizientesten? Nichts anderes zählt. Das ist die Regel in der Geschäftswelt, in der Medizin, der Naturwissenschaft. Und es ist die Regel auf dem Feld des Personenschutzes, das ein Geschäft wie jedes anderes ist, wie Abe Fallow regelmäßig sagte. Frustration, Kränkung, Rachegelüste, Hochgefühle, Stolz … das ist alles irrelevant.
Du verschwindest. Du hast keine Gefühle, du kennst keine Wollust, du bist nicht zu beleidigen. Du bist nichts. Du bist Dunst.
Zur Effizienz eines Schäfers gehört es, die richtige Strategie zu wählen, damit seine Mandanten tun, was er will. Manche muss man herumkommandieren; sie fühlen sich dann wohler. Bei anderen muss man argumentieren.
Wieder andere trickst man einfach aus.
Die Geschichte, die ich Ryan Kessler erzählt hatte, dass ich seine Hilfe brauchte, um Henry Loving zu fangen, war Unsinn. Zwar gab es einen Kern Wahrheit – denn natürlich wollte ich Loving in Handschellen sehen –, aber es war nur eine Strategie, um Ryan auf meine Seite zu ziehen. Ich hatte mich für diese Herangehensweise entschieden, nachdem ich ihn kennengelernt und die Informationen von DuBois bekommen hatte, mit den Einzelheiten über den Zwischenfall in dem Deli, aus dem er als Held hervorgegangen war. Die Rettung der Kunden und die nachfolgende Liebesgeschichte waren für sich genommen irrelevant für mich; wichtig war nur, welche Auswirkungen das Ereignis auf Ryan gehabt hatte. Früher ein aktiver Mensch, war er nun weg von der Straße, die er liebte, er hatte ein fast steifes Bein und durfte, hauptsächlich wohl vom Schreibtisch aus, Finanzdelikte untersuchen und über Kontoauszügen brüten. Ich musste dort ansetzen, wo sein Herz war, beim Macho in ihm, bei seiner Cowboyseite.
Deshalb hatte ich ihm die Rolle des Partners gegeben. Da ich
dafür sorgen würde, dass er diese Rolle nie ausüben würde, konnte man vielleicht behaupten, dass meine Strategie herablassend, sogar gemein war. Und in gewisser Weise stimmte das.
Aber: Was war das Ziel, wie konnte ich es am effizientesten erreichen?
Ich musste ihn glauben machen, dass ich Loving allein nicht zu fassen bekam. Ich befürchtete, dass ich es mit meiner Schauspielerei übertrieben hatte, aber offenbar hatte er mir die ganze Geschichte abgekauft. Diesen Trick – diese Technik –, die Wünsche und Schwächen der Mandanten auszunutzen, um sie zu einem erwünschten Verhalten zu bringen, hatte mir Abe Fallow beigebracht. Es war selbstverständlich undenkbar, dass man einen Mandanten anwarb, um einen Gegner anzugreifen, aber der Unterschied zwischen dem Detective Ryan Kessler, der mir vor gerade einmal anderthalb Stunden die Haustür aufgemacht hatte, und dem Mann, der jetzt neben mir saß, war frappierend.
Genau in diesem Moment spürte ich, wie er angespannt wurde. Ich blickte in den Rückspiegel. Das beige Auto – oder ein beiges Auto – war wieder hinter uns. Es fuhr etwa mit unserer Geschwindigkeit, die nur fünf Kilometer über dem Tempolimit lag.
Maree sah, dass wir beide ebenso viel nach hinten schauten wie auf die Straße. »Was ist?«, fragte sie, setzte sich auf und bekam große Augen.
»Da war ein Wagen, der uns vorhin möglicherweise gefolgt ist. Er war eine Weile verschwunden. Jetzt ist er wieder da.«
Ryan sah mich ungeduldig an.
Es war Zeit für eine Entscheidung.
Ich traf eine. Ich ging vom Gas, sodass uns das beigefarbene Fahrzeug näher kam. Dann warf ich einen Blick nach hinten und sagte entschlossen: »Los, worauf warten Sie? Drücken Sie ab!«
8
Ryan Kessler blinzelte
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