Schutzlos: Thriller (German Edition)
Schule besuchen darf. Ich hätte fast eine Universitätslaufbahn eingeschlagen. Nur durch einige Schicksalswendungen bin ich im Personenschutzgeschäft gelandet.
»Lassen Sie mich mit Bill reden«, flüsterte ich Joanne zu.
Sie nickte, und als sie das Gespräch mit ihrer Stieftochter beendet
hatte, bat sie darum, ihn zu sprechen. Dann gab sie mir das Gerät.
»Hier ist Corte.«
»Hallo. Ich hab mit einem Freund in der Stadt gesprochen«, sagte Carter. Sollte heißen, jemand von der Metropolitan Police hatte ihm erzählt, was beim Haus der Kesslers vorgefallen war. »Auf meinem schicken neuen Telefon, keine Sorge«, setzte er hinzu. »Hört sich an, als hätten wir eine interessante Party knapp verpasst.« Er bediente sich dieser beschönigenden Ausdrucksweise, weil das Mädchen wohl zuhörte.
»Er war nah dran. Aber niemand ist verletzt.«
»Ja, das hab ich auch gehört«, sagte Carter. »Niemand weiß, wo unser Freund steckt.«
»Korrekt.«
Er lachte. Man wirft mir manchmal vor, mich steif oder altmodisch auszudrücken. Ich betrachte es lieber als präzise. Abgesehen davon spricht man mit etwa zwanzig – als ich das College abschloss – etwa so, wie man zu sprechen gelernt hat, und es hat keinen Sinn, es ändern zu wollen. Das funktioniert nicht. Und warum sollte ich es überhaupt wollen?
»Nach unseren Informationen tappt er im Dunkeln, was Sie angeht«, erklärte ich ihm.
»Das ist schon mal gut.«
»Wie war die Fahrt?«
»Ereignislos. Ich hab mich verfahren. Hab dieselben Straßen drei- oder viermal gesehen.«
Seine Art, mir zu sagen, dass er absichtlich Umwege gefahren ist, um zu sehen, ob er verfolgt wird.
»Gut. Sehen Sie zu, dass Amanda immer beschäftigt ist, und halten Sie sie vom Festnetz fern.«
»Ach, das. Mir ist sowieso gerade eingefallen, dass es nicht funktioniert.«
Ich mochte den alten Detective. »Danke.«
»Passen Sie auf die Kesslers auf, Corte.«
»Mach ich.«
Ein geheimnisvolles Kichern. »Ihren Job würde ich für kein Geld der Welt haben wollen.«
9
Ryan kam mit seinem Rasierzeug aus dem Schlafzimmer. Er hatte sich frisch gemacht und sein Hemd gewechselt.
Und er hatte getrunken. Bourbon, glaubte ich. Einen ziemlich kräftigen.
Ich trinke gelegentlich gern Bier oder Wein, aber man kann nicht leugnen, dass einen Alkohol dumm und unvorsichtig macht. Ich kann es beweisen. Wenn ich ein Brettspiel spiele, bei dem es um Können und nicht um Glück geht – wie Schach oder Arimaa –, und nicht ernsthaft in Wettkampfstimmung bin, trinke ich vielleicht ein Glas Wein dazu. Die gelegentlichen Erfolge aufgrund einer von einem schönen weißen Burgunder inspirierten kühnen, unvorhersehbaren Strategie werden bei Weitem von den Fehlern übertroffen, die ich dank des Rebensafts mache.
Ryans Trinken war noch etwas, das ich einkalkulieren musste, zusammen mit seiner locker sitzenden Pistole und seiner Rolle als Beschützer der Familie. Die Konstellation stellte sich also folgendermaßen dar: ein bewaffneter, trinkender Polizist mit einem Heldenkomplex, eine Frau unter Schock – auch wenn sie es noch nicht wusste – und wütend auf ihren Mann, weil er diese Tragödie über die Familie gebracht hatte (auch das war ihr nicht klar), und eine leichtsinnige, verantwortungslose Schwester ohne Selbstachtung, die zwischen Panik und ärgerlicher Sorglosigkeit hin- und herschwankte.
Natürlich hatten alle Mandanten, die ich je beschützt habe, die eine oder andere Macke oder Schwäche gehabt – ich habe weiß Gott selbst auch welche –, und wenn sie deinen Job berühren, nimmst du sie zur Kenntnis und gleichst sie aus. Wenn nicht, vergisst du das Ganze und machst einfach weiter. Wir sind Schäfer, keine Eltern.
Joanne bemerkte den wahren Grund für den Rückzug ihres Manns ins Schlafzimmer ebenfalls, aber sie sprach ihn nicht darauf an. Erst recht wechselte sie keinen Blick mit mir.
Ich machte Kaffee und goss eine anständige Portion davon in einen Styroporbecher. Dann ging ich in die Ecke und bat Ryan, zu mir zu kommen, und wir setzten uns, Polizisten untereinander, zusammen. Ehe ich etwas sagen konnte, begann Ryan: »Hören Sie, Corte, ich habe mich geirrt. Ich meine, was Jo gesagt hat: Wenn Sie nicht da gewesen wären, hätte es vielleicht … ich mag gar nicht daran denken.«
Er hatte seine Frau also doch gehört.
Ich quittierte seine Dankbarkeit mit einem Nicken und vermerkte, dass ihn Schnaps umgänglich und sentimental machte, nicht aggressiv. Wenn die Waffe an seiner
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