Schutzpatron: Kluftingers sechster Fall
erdulden müssen, zum Feind dieses bigotten Männerbundes gemacht hatten, auch wenn er vor der Institution Kirche jeglichen Respekt verloren hatte: Er war ihr doch dankbar dafür, dass sie ihm – auf besondere Weise – so ein einträgliches Auskommen sicherte.
Die Gebete, die er in den dunklen Stunden seiner Kindheit zu einem angeblich liebenden Gott geschickt hatte, waren auf eine verquere Weise doch noch erhört worden. Auge um Auge, Zahn um Zahn – dieses alttestamentarische Diktum hatte er zu seinem Credo erkoren. Und so erlaubte er sich bei seinen Projekten auch immer diesen Spaß mit den Heiligennamen. Es war zweckmäßig und erinnerte ihn, wenn er einmal Skrupel bekam, immer daran, wo der Ausgangspunkt für seine »Karriere« lag.
Er lächelte, während er an den endlosen Vitrinen entlangging, denn er wusste, dass viele der größten Kunstwerke nicht existieren würden, gäbe es die Kirche nicht. Sie hatte die bedeutendsten Künstler für sich arbeiten lassen. Und immerhin waren so einzigartige Werke geschaffen worden: Michelangelos Decke der Sixtinischen Kapelle, da Vincis ›Abendmahl‹ und, wenn auch viel weniger berühmt, die Strigel-Madonnen aus Memmingen, von denen ihm die eine oder andere schon »geschäftlich« untergekommen war.
Als er die Halle mit den wichtigsten und edelsten Stücken des Kaldener Burgschatzes betrat, fasste er nach dem Kugelschreiber in seiner Hemdtasche, in den eine winzige Kamera eingebaut war. Früher war dieses Werkzeug noch sündteuer und nur auf dunklen Kanälen zu beschaffen gewesen, heute gab es diese Geräte für wenig Geld in jedem gut sortierten Internetshop. Wenn das Fortschreiten der Technik – vor allem im Sicherheitsbereich – seiner Berufssparte auch schon viele Unannehmlichkeiten bereitet hatte, so brachte es doch ab und an auch Positives.
Er blickte in den Raum und entdeckte Agatha. Unauffällig verhielt der sich ja nicht gerade, der untersetzte Mann mit der gestreiften Tasche war eher ein Blickfang. Immerhin würde das die Aufmerksamkeit von ihm selbst ablenken. Ihre Blicke kreuzten sich kurz, und sie nickten sich kaum wahrnehmbar zu.
Dann schritt Magnus die Exponate in konzentrischen Kreisen ab. Erstens wollte er so eine möglichst lückenlose Aufnahme des Schatzes mit seiner Minikamera erstellen, zweitens wollte er, dass der Moment, in dem er der Reliquienmonstranz gegenüberstand, den dramaturgischen Höhepunkt seines Besuches darstellte. Ganz so, wie wenn man sich das beste Stück vom Sonntagsbraten bis zum Schluss aufhebt. So ließ er sich also von der Menge treiben, spazierte vorbei an den Vitrinen mit den Ringen, ging weiter zu den Edelsteinen und den Goldkelchen.
Dann war es endlich so weit: Magnus stellte sich geduldig in den Pulk der Menschen, die sich um das Prunkstück der Ausstellung drängten. Dabei vermied er es geflissentlich, in eine der Kameras zu blicken, und hielt den Kopf gesenkt, bis er sie in seinem Rücken wusste. Schließlich trat die Frau vor ihm zur Seite und gab den Blick frei auf das Objekt seiner Begierde: Es sah der Replik auf den ersten Blick wirklich zum Verwechseln ähnlich, doch der Glanz des Originals war im Gegensatz zum Nachbau geradezu atemberaubend.
Seine Augen badeten im Schimmer des Reliquienschreins, und er sah auf seinem Spiegelbild im Glas der Vitrine die Faszination in seinen eigenen Augen. Das Spiegelbild! Wie ein Blitz durchfuhr ihn die Erkenntnis, dass sein Gesicht für die Vitrinenkamera nun deutlich sichtbar sein musste, und er wandte sich schnell ab. Er verfluchte sich selbst dafür, dass er beim Anblick dieses kunstvollen Gegenstandes für einen Augenblick die emotionale Distanz verloren hatte. Er ging schnell weiter, atmete tief durch. Es war nicht gravierend gewesen, schließlich ging es nur um sein Spiegelbild, niemand würde es sehen, man suchte ihn nicht, und schon gar nicht hier in Wien. Aber er war Perfektionist und erlaubte sich nicht den kleinsten Fehler. Nur so hatte er so lange und so erfolgreich seiner Arbeit nachgehen können.
Er wollte gerade weitergehen, da erstarrte er mitten in der Bewegung: Sein Handy vibrierte. Und zwar das Handy, dessen Nummer er nur einem einzigen Menschen gegeben hatte. Er führte das Gerät an sein Ohr und zischte ohne eine Begrüßung: »Ich hab dir doch gesagt, dass du nur im Notfall anrufen sollst. Und vor allem nur von dem Handy aus, das ich dir gegeben habe. Hast du etwa meine Nummer in dein eigenes Telefon eingespeichert, du Blödmann?«
Dann lauschte
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