Schwaben-Angst
eine große Wasserpfütze, jagte die Fontäne direkt vor Braigs Füße. Er starrte zur Seite, überlegte, sich die Nummer des rücksichtslosen Fahrers zu notieren, zögerte zu lange. Bis er sich endlich entschlossen hatte, waren die Buchstaben nicht mehr zu erkennen.
»Welche Verbindung sehen Sie zwischen den Fußabdrücken am jeweiligen Tatort und den Tätern?«, hatte Bayer gestern Abend in der Pressekonferenz mit lauter Stimme gefragt.
Heftiges Gemurmel und aufgeregte Rufe vieler Journalisten waren die Folge.
Braig hatte sich mit Gewalt zusammenreißen müssen. Woher wusste der Kerl davon? Wer hatte ihn informiert? Wie war er an diese bisher bewusst verschwiegenen Erkenntnisse gelangt? Niemand hatte auch nur das Geringste über die verräterischen Spuren verlautbaren lassen.
Voller Wut war er auf diese Bemerkung, die eine wahre Flut zusätzlicher Fragen ausgelöst hatte, eingegangen. »Verehrter Herr Bayer, offensichtlich wissen Sie wieder einmal mehr als wir selbst. Vielleicht ist es am besten, Sie übernehmen mit Ihrer Truppe die Ermittlungen. Wir überlassen Ihnen gerne das Feld.«
Natürlich hatten seine Worte den jetzt einsetzenden Spekulationen kein wirkliches Ende gesetzt. Es schien, als sei es bei ihrer Pressekonferenz nur darum gegangen, die Medienvertreter über die an beiden Tatorten aufgefundenen Fußabdrücke zu informieren.
Und jetzt stand es in allen Zeitungen. Wer hatte Bayer die Information zugesteckt? Wie hatte der Kerl Wind von diesen Spuren bekommen?
Braig war klar, welche für ihre Ermittlungen katastrophalen Folgen die vorzeitige Veröffentlichung dieser polizeilichen Entdeckung haben konnte: Der Täter oder die Täterin würde, falls noch nicht geschehen, die bei den Morden benutzten Schuhe so schnell wie möglich vernichten oder sonst wie verschwinden lassen. Vielleicht waren Marion Böhler oder Regine Hemmer gerade dabei, sich der verdächtigen Objekte zu entledigen. Sollten sie sofort zuschlagen, um sich wenigstens noch den Hauch einer Chance zu erhalten, an das belastende Schuhwerk zu gelangen?
Den schmerzenden Kopf voll wirrer Gedanken betrat Braig das Landeskriminalamt, grüßte den Kollegen an der Pforte. Er sah, dass die beiden Fahrstühle in anderen Stockwerken festhingen, entschied sich spontan fürs Treppenhaus. »Sie müssen mehr für Ihre körperliche Kondition tun«, hatte ihm der Arzt vor wenigen Wochen geraten. »Wenn Sie schon keinen regelmäßigen Sport treiben, sollten Sie ungeachtet Ihrer beruflichen Belastung für ausreichende tägliche Bewegung sorgen – nicht nur im Kampf gegen die Kopfschmerzen.«
Zwei Stufen auf einmal nehmend eilte Braig nach oben. Sein Puls hämmerte, die Lungenflügel rangen um Atem. Treppen steigen mochte gesund sein, besonders angenehm war es nicht. Keuchend und schweißgebadet betrat er sein Büro. Der Raum lag im Dunkeln, wie an einem nebligen Tag im November. Braig schaute nach draußen, sah die dicken Wolken am Himmel. Sein Kopf schmerzte, der Puls hämmerte immer noch. Er blieb an der Tür stehen, schaltete das Deckenlicht ein, sah ein Fax in der Ablage.
Braig zog seine Jacke aus, griff zu dem Papier. »Die Fußabdrücke von Rotenberg und auf dem Teppich in der Kirche in Großaspach sind identisch. Eindeutig. Schuhgröße siebenunddreißig. Warum habt ihr das der Presse bekannt gegeben? Ist das wirklich sinnvoll? Gruß Rössle.«
Er setzte sich an den Schreibtisch, griff zum Telefon. Der Techniker war sofort am Apparat. »Danke für dein Fax. Jetzt brauchen wir nur noch die passenden Schuhe.«
»Des glaubet ihr doch selber net, dass die noch existieret? Die sind längst verbrannt. Wieso hent ihr des an die Öffentlichkeit bracht?«
»Das haben wir nicht.«
»Net? Alle Idiote von Sindelfinge, hat der Herr Kommissar heut noch keine Zeitung zu Gesicht kriegt?«
Braig berichtete Rössle vom Verlauf der Pressekonferenz, legte ihm ausführlich dar, mit welch genussvoller Süffisanz Bayer die Tatsache der Fußabdrücke vor allen Anwesenden vorgetragen hatte.
Der Techniker schwieg eine Weile, rang sich dann doch zu einer Bemerkung durch. »Quadratscheiße, was?«
»So kann man das sagen.«
»Wem kann man so was zutrauen?«
»Ich weiß es nicht. Keine Ahnung.«
»Einer von uns?«
Braig hatte keine Lust, Nachforschungen anzustellen, genau zu überprüfen, welche Personen Kenntnis von ihren Ermittlungen hatten. Er schloss auf jeden Fall aus, dass einer der beteiligten Kriminaltechniker oder auch Söhnle und Neundorf die
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