Schwaben-Angst
Information weitergegeben hatten, unter welchen Umständen auch immer. Allein der Gedanke, einen seiner engen Mitarbeiter in Betracht zu ziehen oder ernsthaft zu verdächtigen, schien ihm vollkommen pervers. »Ich muss mich auf meine Ermittlungen konzentrieren«, sagte er deshalb, »einen zweiten Kriegsschauplatz kann ich mir im Moment nicht leisten.«
»Das ist richtig. Aber vielleicht gibt es doch noch eine Möglichkeit, dem Täter über die Fußabdrücke nahe zu kommen.«
Braig horchte auf. »Was meinst du?«
»In Rotenberg hinterließ der Kerl so viele Spuren, dass wir ein genaues Belastungsprofil seiner Füße erstellen konnten. Wie er läuft, wo genau er seine Schwerpunkte setzt, auf den Ballen zum Beispiel oder auf die Zehen. Dieses Profil fällt bei jedem Menschen anders aus, wobei die Schuhe gewisse Einflüsse haben können. Lassen wir einen Verdächtigen auf einem speziellen Untergrund ein Stück laufen, können wir anschließend die Belastungsprofile miteinander vergleichen.«
»Und ihr könnt beweisen, dass es sich um dieselbe Person handelt?«
»Schön wär’s. Vor Gericht wird das Ergebnis noch nicht akzeptiert. In ein paar Jahren vielleicht, aber heute noch nicht. Wenn ihr euch aber clever anstellt, könnte es dennoch klappen.«
Braig erinnerte sich, von der Methode gehört zu haben, überlegte, wie sie den Vorschlag umsetzen konnten. »Was stellst du dir vor?«
»Ihr erklärt dem Verdächtigen, dass ihr den Täter anhand des Belastungsprofils mit absoluter Sicherheit feststellen könnt. Weigert er sich daraufhin, Probe zu laufen, wisst ihr schon mal, woran ihr mit ihm seid.«
»Dann hilft nur noch, alle seine Schuhe zu untersuchen.«
»Und ihn genau zu überwachen. Er oder sie muss wissen, warum er seine Mitarbeit verweigert.«
»Du kannst das Belastungsprofil erstellen?«
»Jederzeit.«
Braig bedankte sich bei Rössle für die Information, legte den Hörer auf, sah Neundorf in sein Büro treten.
»Blöd gelaufen, wie?«, sagte sie.
Er grüßte sie, erhob sich von seinem Stuhl, lief zum Wasserhahn.
»Ich habe vorhin mit Hofmann telefoniert«, erklärte sie, »irgendwann werde ich die undichte Stelle finden.« Sie trug eine schwarze Jacke, darunter ein weißes Shirt, wirkte unausgeschlafen.
»Ich will nicht darüber nachdenken«, erwiderte er, »sonst werde ich verrückt.« Er klatschte sich Wasser ins Gesicht, füllte ein Glas, trank in kleinen Schlucken.
»Regine Hemmer hat kein Alibi. Weder für Freitag noch für Samstag.«
Braig stellte das Glas neben das Wasserbecken, wartete auf weitere Erklärungen.
»Ich habe sie gestern Abend noch angerufen, von Waiblingen aus. Sie gab sich ganz offen, redete unbekümmert über ihr Verhältnis zu ihrem Vater. Er existiere für sie nicht. Vor fünf Jahren, als er sich endgültig von ihrer Mutter trennte, war Schluss.«
»Du glaubst ihr?«
Neundorf lehnte sich an seinen Schreibtisch, wog ihren Kopf unschlüssig hin und her. »Das ist schwer zu sagen. Ich traue mir noch kein Urteil zu. Im Moment zumindest nicht.«
»Wo war sie während der fraglichen Zeit?«
»Sie weiß es angeblich nicht genau. Am Freitag war sie in Stuttgart. Einkaufen, Kaffee trinken, Bummeln. Bis in den späten Abend.«
»Das kommt mir bekannt vor. Genau das gleiche erklärte mir schon Frau Böhler.«
»Findest du es so unglaubwürdig? Ich kann ihr nicht das Gegenteil beweisen.«
»Kein Kassenbon mit Datum und Uhrzeit, die Rechnung des Cafés?«
Neundorf schüttelte den Kopf. »Sie hat nur Kleinigkeiten gekauft, deren Kassenbestätigung aufzuheben nicht lohnte. Und im Café zahlte sie ohne Bon.«
»Und am Samstag?«
»Sie lag in der Sonne, das schöne Wetter ausnützen.«
»Allein?«
»Sie sagt, ja. Zur Zeit ist sie solo.«
»Und niemand kann es bestätigen? Ihre Mutter, Nachbarn, sonst jemand?«
»Sie war mit dem Fahrrad unterwegs, legte sich irgendwo an den Neckar, hatte ein Buch dabei, vergaß die Zeit, wie sie sagte, schmökerte bis in den Abend.«
Braig seufzte, trank den Rest des Wassers. »Die Frau macht es uns wirklich nicht einfach.«
»Du fragst nicht nach ihrer Schuhgröße?«
»Sie hat sie dir aus freien Stücken mitgeteilt?«
»Wieso nicht? Sie ist kein Eisberg wie ihre Mutter.«
»Siebenunddreißig?« Er hatte das Glas ausgespült und neben das Wasserbecken gestellt, schaute interessiert zu seiner Kollegin.
Neundorf nickte. »Mal siebenunddreißig, mal achtunddreißig. Je nachdem, wie die Schuhe ausfallen. Sie besitzt aber nicht viele
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