Schwaben-Angst
nickte, erhob sich ebenfalls. Sie mussten sich beeilen, der Großteil der Journalisten war sicher längst eingetroffen. Ob die Sache sich routinemäßig ohne großen Stress erledigen ließ?
Braig seufzte, dachte an den Berg von Arbeit, der noch auf sie wartete. Er verließ Hofmanns Büro, sah das nachdenkliche Gesicht des Oberstaatsanwalts. »Sie sind nicht zufrieden?«
Hofmann schloss seine Tür, überlegte sich seine Antwort genau. »Ich hoffe nur, dass wir nicht an der falschen Stelle kämpfen. Nicht, dass es sich wieder um eine viel größere Sache handelt, als wir es im Moment überblicken. Vielleicht ist das, was wir bis jetzt wahrnehmen, erst der kleine Anfang. Die Spitze des Eisbergs sozusagen. Und die Hauptmasse der Angelegenheit ist noch unsichtbar unter der Wasseroberfläche verborgen.«
16. Kapitel
Als Braig am Montagmorgen auf die Straße trat, empfing ihn das seit Wochen vertraute Bild: nasse Gehwege, bedeckter Himmel, Wasserfontänen von zur Seite spritzenden Autos. Zweieinhalb Tagen Spätsommer voller Sonne und Wärme, die weitgehend unbemerkt an ihm vorbeigezogen waren, weil er sie im Büro bzw. auf der bisher vergeblichen Suche nach dem Mörder Konrad Böhlers und Bernhard Hemmers verbracht hatte, war das vom September her gewohnte Einheitsgrau mit dunklen Wolken und Regenschauern gefolgt. Der Stuttgarter Talkessel schien im tristen Frühherbstschmuddel zu versinken.
Braig litt jetzt schon unter starken Kopfschmerzen, hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen. Er hatte nur wenig geschlafen, war mehrfach vom Lärm der Straße geweckt worden. Hupende Autos, quietschende Bremsen, aufheulende Motoren – alle paar Minuten neue, nervenaufreibende Geräusche irgendwo in der Umgebung seiner Wohnung. Voller Wut war er mitten in der Nacht zum halbseitig aufgeklappten Fenster geeilt und hatte es fest verschlossen, obwohl er frische Luft zum Schlafen fast genauso dringend benötigte, wie ein Fisch das Wasser. Er hatte die Verursacher des Lärms insgeheim mehrfach verflucht, sich geschworen, sie eigenhändig zu erwürgen, falls sie ihm unter die Finger kämen, und weiter vergeblich darauf gewartet, endlich in den ersehnten Schlaf zu finden. Verkehrslärm in allen Variationen gehörte in zunehmend unerträglichem Maß zu den Begleiterscheinungen seiner Wohnung, obwohl der Hermannstraße keinerlei Erschließungsfunktion zukam, sie von den zuständigen Behörden vielmehr als innerstädtische Nebenstraße ohne große Belastung definiert war. Braig sah diese Entwicklung als Teil der immer weiter um sich greifenden Verrohung der Gesellschaft, die in seinem Beruf Tag für Tag deutlicher sichtbar wurde: Verantwortung für das Gemeinwesen wurde zunehmend weniger, der Realisierung egoistischer Interessen dagegen immer mehr Dominanz zugebilligt.
Er sah auf seine Uhr, merkte, dass bis zur nächsten S-Bahn noch genügend Zeit blieb, spurtete in seine Wohnung zurück, holte einen Schirm. Trotz des schlechten Wetters wollte er nicht auf den kurzen Marsch vom Cannstatter Bahnhof zum LKA verzichten, um sich wenigstens ein paar Minuten lang in der frischen Luft aufhalten zu können – die einzige Methode, die langfristig Wirkung gegen seine Kopfschmerzen versprach.
Schon am Kiosk, wenige Meter vor den Treppen zur Station »Feuersee« sah er sich mit seinen derzeitigen beruflichen Problemen konfrontiert:
Mit Blausäure ins Jenseits – ein bestialischer Tod.
Giftmorde – wer ist das nächste Opfer?
Von wem stammen die geheimnisvollen Fußabdrücke?
Polizei ratlos
.
Die Titelseiten der meisten Zeitungen hatten nur ein Thema, dazu wurden die entstellten Gesichtszüge Reinhard Hemmers fast lebensgroß als besondere Zugabe des überregionalen Boulevardblatts präsentiert.
Entnervt wandte sich Braig vom Kiosk ab, starrte auf die andere Seite der Straße. Bayer, das verfluchte Schwein. Warum saß er immer am längeren Hebel?
Braig stieg die Stufen zur S-Bahn hinunter, musste nicht lange warten, dämmerte die paar Minuten bis Bad Cannstatt vor sich hin. Der Kerl stand immer auf der Seite der Gewinner, verfügte über die notwendigen Beziehungen, kannte die entsprechenden Tricks, wie seine Ziele zu realisieren waren. Und wenn alles nichts half, sorgte er mit Geld für die entscheidenden Dokumentationen.
Braig verließ den Zug, folgte der Wildunger Straße, bog dann in die Taubenheimstraße ein. War mit Geld wirklich alles, was immer einer wollte, zu erhalten? Konnte man jeden Menschen kaufen?
Ein Auto fuhr mitten durch
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