Schwaben-Angst
hatte das herbe Aroma schon in der Nase, noch ehe die Tür auch nur ein bisschen geöffnet wurde: Wie eine Wolke strömte die Essenz nach draußen. »Frau Hähnel?«, fragte er, zückte seinen Ausweis.
Der Spalt zwischen Tür und Angel reichte gerade aus, seine Identitätskarte durchzureichen; sie hatte eine Sicherheitskette eingehakt, um Unbefugten den Zutritt zu verwehren.
»Braig ist mein Name, neben mir steht meine Kollegin Neundorf, wir kommen vom Landeskriminalamt. Dürfen wir Sie einen Moment sprechen?«
Die Frau gab ihm seinen Ausweis zurück, zog die Kette ab, öffnete die Tür. »Was wollen Sie?« Ihre Stimme klang kindlich, wie die eines Mädchens.
Braig kniff seine Augen zusammen, um sie genauer betrachten zu können, begriff erst nach ausführlicherem Begutachten, dass sie tatsächlich eine Jugendliche vor sich hatten.
»Wir kommen wegen Ihrer …«, er stoppte mitten im Satz, starrte sie an, begann dann intuitiv – ohne langes Überlegen – mit einer neuen Frage. »Sie sind Jasmin Hähnel?« Der herbe Duft ihres Parfüms betäubte ihn fast.
Sie nickte, schaute skeptisch zu ihm auf. Sie war mehr als einen Kopf kleiner als er, hatte lange, dunkle, fast schwarze Haare, eine schlanke Figur.
»Dürfen wir reinkommen?«
Jasmin Hähnel zögerte erst, wich dann vor Steffen Braig, der ohne Abwarten einen Fuß in die Wohnung setzte, ins Innere zurück. Sie öffnete die Tür zu einem großen Zimmer, ließ die Kommissare eintreten, sah zu, wie beide auf einem dunkelbraunen Ledersofa Platz nahmen, das sich mit zwei Sesseln um einen rechteckigen Tisch gruppierte. An der Schmalseite des Raumes erhob sich ein schlanker, weißer Schrank mit quadratischen Glaselementen, hinter denen Gläser und Vasen zu sehen waren. Die übrigen Wände des Zimmers lagen frei, lediglich über dem Sofa hing ein überdimensionaler Bilderrahmen, der Fotos einer jungen Frau in immer neuen Aufmachungen zeigte.
Braig betrachtete die Bilder, sah, dass es sich ausnahmslos um Motive handelte, in denen Jasmin Hähnel im Mittelpunkt stand. Eine stark geschminkte Frau, ein Mikrofon in der Hand, umgeben von einer Gruppe junger Leute; daneben dieselbe Person in äußerst knapper Bekleidung, auf einem Stuhl stehend, den Kopf in die Höhe gestreckt, unübersehbar Aufmerksamkeit erheischend. Er wandte seinen Blick von den Fotos ab, bemerkte, dass ihn Jasmin Hähnel, unsicher am Tisch wartend, argwöhnisch musterte.
»Sie planen eine Karriere als Tänzerin«, begann er.
Sie zuckte zusammen, runzelte die Stirn.
»Bin ich richtig informiert?« Er wies auf den Ledersessel an der Längsseite des Tisches, sah, wie sie seiner Aufforderung folgte und sich dort langsam niederließ.
»Wieso?« Sie bewegte kaum die Lippen, wusste nicht, was sie antworten sollte.
»Oder sehen Sie sich eher als Sängerin?«
Braigs Frage schien sie aufzumuntern. Jasmin Hähnels Körper straffte sich, ihre Augen begannen zu leuchten. »Pop-Sängerin«, erklärte sie, »ich hatte schon mehrere Auftritte.«
»Alle Achtung. Sie sind noch sehr jung.«
»Ich habe genug Erfahrung«, erklärte sie fast trotzig, »darauf kommt es an, nicht auf das Alter.« Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust, warf Braig einen finsteren Blick zu. Es war ihr Thema, ihr Lebensinhalt, ohne Frage.
»Wo sind Sie aufgetreten?«
Die Antwort kam postwendend, ohne jedes Zögern. »In Sulzbach in der Belinda, einen ganzen Abend lang. Letztes Jahr in Ludwigsburg im Neuen Forum, bei einer großen Show. Und vor drei Monaten auf dem Backnanger Straßenfest, zweiter Platz beim Songwettbewerb.« Sie schaute triumphierend zu ihm hin, konnte nicht verbergen, dass sie geradezu nach seiner Bewunderung lechzte.
Braig tat ihr den Gefallen. »Spitze! Sie sind schon ein richtiger Profi.«
»Sagen wir besser: auf dem Weg dorthin«, korrigierte sie ihn. Ihre Stimme klang kühl, fast geschäftsmäßig.
Sie hatte Routine, ohne Zweifel. Wenn sie wirklich erst sechzehn Jahre jung war, musste sie intensiv gelebt und Erfahrungen gesammelt haben, die anderen erst wesentlich später zufielen.
»Wer vermittelt Ihre Auftritte? Ihr Manager?«, mischte sich Neundorf ins Gespräch.
Jasmin Hähnel warf ihr einen giftigen Blick zu. »Ich brauche keinen Manager. Die Typen wollen nur absahnen. Ich kann mir meine Engagements selbst besorgen.«
»Das ist sicher nicht einfach.«
»Ich habe Routine. Damit komme ich durch.«
»Aber bei Herrn Hemmer hatten Sie keinen Erfolg.« Die Kommissarin schleuderte ihr die Bemerkung
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