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Schwaben-Angst

Schwaben-Angst

Titel: Schwaben-Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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Rauleder, zitierte dann aus dem Schreiben. »
Meine Rache wird tödlich sein. Ich werde dich vergiften. Du wirst elend abkratzen, du widerliches Schwein. Prüfe von jetzt an, was du isst und trinkst. Mein Giftcocktail ist vorbereitet. Ich habe mich genau informiert, ich weiß, wovon ich rede. Meine Mutter arbeitet als Apothekerin. Ich komme an alles, was ich brauche. Der Tod wartet auf dich. Bald wirst du unter Qualen verrecken

    Braig war nahe an Neundorf herangetreten, sah am Kopfnicken der Kollegin, dass sie alles mitgehört hatte. »Das klingt sehr theatralisch«, meinte er, »fast zu plakativ. Leute, die solche Sätze formulieren, schreiben sich ein Stück weit den Frust und den Hass von der Seele, der sich bei ihnen angestaut hat. Wenn wir dann noch berücksichtigen, dass der Brief ihre Unterschrift trägt …«
    »Das muss nichts heißen«, wandte Neundorf ein, »du kannst nicht ausschließen, dass sie irgendwann die Nerven verlor und ihre ursprünglich völlig irrational geäußerten Drohungen in die Tat umsetzte. Vielleicht glaubte sie, mit ihrem Drohbrief Hemmer tatsächlich so zu beeindrucken, dass er seine Entscheidung revidieren und sie doch in eine seiner Shows aufnehmen würde? Der aber, abgebrüht und skrupellos, wie er wohl viele seiner Bewerberinnen behandelte, dachte überhaupt nicht daran, lachte sie aus, machte sich über ihre Drohungen lustig. Daraufhin drehte sie durch und ging auf ihn los, genau wie sie es angekündigt hatte. Wenn sie sich wirklich in den Wahn hineingesteigert hatte, im Showbusiness Karriere zu machen und deshalb auch mit dem Kerl ins Bett schlüpfte, muss dessen Ablehnung äußerst schmerzvoll gewesen sein.«
    »Das klingt einleuchtend, beantwortet aber nicht die Frage, wie sie an das Gift kam. Blausäure gibt es schließlich nicht an jeder Ecke.«
    »Immerhin schreibt sie davon, dass ihre Mutter Apothekerin sei«, sagte Neundorf, »wenn das stimmt …«
    »Wir müssen sie auf jeden Fall überprüfen«, gab Braig nach, »habt ihr die Adresse des Mädchens?«
    Rauleder antwortete sofort. »Pflugfelder Straße in Kornwestheim. Was immer ihr gegen diesen Hemmer anführt, der Mann war anscheinend ein penibler Bürokrat. Er hat alles fein sauber notiert und abgeheftet.«
    »Sogar seine eigene Mörderin?« Braig wusste nicht, was er von dem Drohbrief des Mädchens halten sollte. Eine 15-Jährige, die mit dem Giftbecher ihren Frust aus der Welt schaffte und dabei einen, vielleicht sogar zwei Menschen ermordete? Waren das nicht Gedankenspielereien fernab jeder Realität?
    Er beendete das Gespräch. Der Regen hatte aufgehört. Neundorf faltete den Schirm zusammen. »So sehr mir die Vorstellung zuwider ist«, sagte sie, »ich weiß aber, dass wir nicht auf einer Insel der Seligen leben.«
    Natürlich hatte sie Recht: Jugendliche, die andere Menschen überfielen, Mitschüler attackierten, Lehrer oder Vorgesetzte als Geisel nahmen, Kinder oder Heranwachsende ermordeten, gab es nicht nur in Amerika. Die Radikalisierung junger Leute nahm von Jahr zu Jahr auch in Europa, auch in Deutschland, auch im Schwäbischen rapide zu. Worin auch immer die Ursachen zu finden waren: Die Aggressionen Jugendlicher waren nicht zu bremsen. So wenig nachvollziehbar dies angesichts des materiellen Überflusses, in dem die Mehrzahl von ihnen lebte, erschien. Oft genug hatten seine Kollegen und er bei ihren Ermittlungen damit zu tun.
    Braig dachte an den jungen Mann, der vor wenigen Jahren in Stuttgart seine eigene Klasse samt einer Lehrerin als Geisel genommen und bedroht hatte. Er erinnerte sich an den Schüler in Sachsen, der seine Lehrerin mit einem Messer ermordet, an den Heranwachsenden, der in Bayern seine Vorgesetzten und den Direktor seiner ehemaligen Schule erschossen hatte.
    Nein, dieses Land, diese Gesellschaft war keine Insel der Seligen. Warum sollte Jasmin Hähnel, angetrieben von Wut und Hass, nicht zum Gift ihrer Mutter gegriffen und den Mann, der sie so bitter enttäuschte, aus dem Weg geräumt haben?

17. Kapitel
    Die junge Frau, die ihnen die Haustür öffnete, schien gerade einem Kosmetiksalon entsprungen. Sie trug auffälliges Make-up; die Haut wirkte unnatürlich aufgehellt, fast gebleicht, die Augen blickten streng, mit dunkler Schattierung und nachgezogenem Lidstrich künstlich vergrößert. Was am meisten störte, war das grelle, fast ins Violett reichende Rot ihrer Lippen. So aufdringlich sie sich angemalt hatte, so intensiv war der Duft des Parfüms, der von ihr ausstrahlte. Braig

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