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Schwaben-Angst

Schwaben-Angst

Titel: Schwaben-Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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der Mann, »sie war Organistin.«
    »Organistin«, wiederholte sie laut, nickte ihrem Kollegen zu. »In Stuttgart?«
    »In Esslingen«, sagte ihr Gesprächspartner, »aber sie spielte auch in vielen anderen Städten. Orgelspielen war ihr Leben.«
    »Maria war sehr tüchtig in ihrem Beruf?« Neundorf versuchte, den Mann zu trösten, bevor sie auf das für seinen Schmerz sicher sehr heikle Thema kam.
    »Ja, das war sie«, schluchzte er.
    »Was haben Sie mit ihren Noten gemacht, ich meine, nach ihrem …« Sie vervollständigte den Satz nicht, wollte Würth nicht noch mehr zumuten.
    »Wir haben viele verschenkt«, sagte er, »oder verkauft. In der Kirche, für einen guten Zweck. ›Brot für die Welt‹ und ähnliches.«
    »Kannten Sie einen Bernhard Hemmer?«
    »Wie heißt der Mann?«
    Sie wiederholte den Namen.
    »Habe ich noch nie gehört, tut mir Leid.«
    »Wie steht es mit Beate Berg? Ist Ihnen diese Frau bekannt?«
    »Beate Berg? Nein, ich kenne keine Beate Berg. Wirklich nicht.«
    Neundorf seufzte, schaute auf die dritte Seite des Notenhefts. »Eine letzte Frage«, meinte sie, »sagt Ihnen der Name Maja etwas?«
    »Ein weiblicher Vorname? Ich kenne niemand, der so heißt.«
    »Dann will ich Sie nicht länger stören. Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
    Sie beendete das Gespräch, starrte auf das Notenbuch. »Maria Würth ist tot. Vor zwei Jahren bei einem Autounfall gestorben«, erklärte sie. »Ihre Noten wurden verschenkt oder für einen guten Zweck verkauft. Wie kommen sie hierher in Beate Bergs Wohnung?«
    »Vielleicht spielte Frau Berg Orgel«, meinte Braig.
    »Die Frau, die als Briefzustellerin arbeitete?« Sie schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Täglich Päckchen und andere sperrige Gegenstände durch die Gegend schleifen und abends und am Wochenende dann mit denselben Fingern in die Tasten greifen? Das passt doch nicht.«
    »Wir müssen mit ihrer Mutter sprechen. Dann wissen wir Bescheid.«
    Er zog den Zettel aus seiner Tasche, auf dem Martha Bay ihm die Telefonnummer Frau Bergs notiert hatte, gab sie in sein Handy ein. Nach kurzem Warten hatte er eine etwas abgehetzt klingende weibliche Stimme am Apparat.
    »Hier ist Braig. Kann ich bitte Frau Berg sprechen?«
    »Frau Berg? Einen Moment, ich bringe ihr das Telefon. Sie sitzt am Kaffeetisch.«
    Braig hörte an den Hintergrundgeräuschen, wie sich die Frau bewegte, verschiedene Leute grüßte, dann einen Raum mit hohem Geräuschpegel erreichte. Teller und Tassen klirrten, Stühle wurden zurückgeschoben, eine Tür quietschte. Plötzlich war die Frau wieder am Apparat.
    »So, jetzt habe ich sie.«
    Er bedankte sich, hörte, wie das Telefon weitergereicht wurde.
    »Frau Berg, ein Gespräch für sie.«
    Wenige Sekunden später hatte er die Frau in der Leitung.
    »Ja?«
    »Hier ist Steffen Braig. Frau Berg, kann ich kurz mit Ihnen sprechen?«
    »Wenn Sie mir sagen, was Sie von mir wollen.« Die Stimme klang fest und energisch, nicht gerade wie die einer Achtzigjährigen, die vor kurzem ihr eigenes Kind verloren hatte.
    »Es geht um Ihre Tochter«, sagte er.
    »Beate.«
    »Ja. Können wir über sie reden?«
    Ein Teller am anderen Ende der Leitung klapperte laut, eine Stimme im Hintergrund schimpfte.
    »Mit wem spreche ich denn?«, fragte die Frau.
    Braig hatte seinen Beruf bisher verschwiegen, weil er sie nicht unnötig erschrecken wollte. Wenn der Selbstmord ihrer Tochter erst wenige Wochen zurücklag, löste die Erwähnung der Polizei wohl kaum angenehme Assoziationen bei ihr aus. Dennoch wollte er sie nicht belügen. »Ich bin Kommissar beim Landeskriminalamt. Wir arbeiten an einer Untersuchung, die ein wenig auch Ihre Tochter betrifft.«
    Sie reagierte anders als er erwartet hatte. »Was haben Sie auf dem Herzen?« Ihre Stimme war nach wie vor fest, zeigte keinerlei Anzeichen von Betroffenheit oder Trauer.
    Braig kam direkt zum Thema. »Spielte Beate Orgel?«
    Dies schien sie zu überraschen: »Orgel?« Sie schwieg einen Moment, begann dann zu lachen. »Sie können Beate nicht gut gekannt haben, wie?«
    »Leider nicht, nein.«
    Die Glocke der Wohnung läutete, ein kräftiges, lautes Geräusch, wie sie es bereits mehrfach im Treppenhaus und – stark gedämpft – am Mittag auf der Straße vernommen hatten. Braig sah, wie sich Neundorf erhob, konzentrierte sich wieder auf sein Gespräch.
    »Meine Tochter hatte viele Fähigkeiten, sie war sportlich, kräftig, handwerklich sehr geschickt, konnte im Haus und im Garten jede, aber wirklich

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