Schwaben-Angst
jede Reparatur durchführen. Sie war eine Frau zum Pferdestehlen, wenn Sie verstehen, was ich meine, eine Draufgängerin, zu jeder Schandtat bereit. Eines aber fehlte ihr völlig: Jeder Ansatz zu musikalischer Begabung.«
»Dann können wir das mit dem Orgelspielen vergessen.«
»In der Tat. Und zwar sehr schnell.«
Rauleder und Hutzenlaub betraten die Wohnung, winkten Braig zu. Der nickte mit dem Kopf, sah, wie sich Neundorf mit den Kollegen in die hinteren Zimmer zurückzog.
»Können Sie mir erklären, wieso Ihre Tochter dann ein Notenheft zum Orgelspielen in ihrer Wohnung aufbewahrt?«
»Sie sind in der Lindenstraße?«
»Aus aktuellem Anlass, ja.«
»Nein, das kann ich nicht. Mit Beate hat das garantiert nichts zu tun.«
Braig hörte, wie das Klirren von Tellern und Tassen wieder zunahm, hatte die Stimme der Frau am Ohr. »Einen Moment, bitte.«
Stühle wurden zurückgeschoben, verschiedene Leute schrien aufeinander ein. Plötzlich, nach einer halben Minute etwa, war Ruhe.
»So«, erklärte Frau Berg, »jetzt können wir wieder. Ich habe mich in mein Zimmer zurückgezogen.«
»Kennen Sie einen Herbert Bauer?«, fragte er.
»Wer soll das sein?«
»Ein Freund Ihrer Tochter.«
»Freund? Also das bestimmt nicht«, sagte Frau Berg mit energischem Tonfall. »Ich kenne die Freunde meiner Tochter.«
»Der Mann behauptete, mit Ihrer Tochter befreundet zu sein, gut befreundet.«
»Wann war das?«
»Heute«, sagte Braig, »hier in der Lindenstraße. Er war in Beates Wohnung.«
»In ihrer Wohnung? Dann war es wohl der Bekannte von Katja. Sie versprach mir, sich um die Räumung der Wohnung zu kümmern. Ich bin sehr froh, dass sie mir diese Last abgenommen hat, nach all den schrecklichen Ereignissen der letzten Wochen.«
»Katja?« Er erinnerte sich an den Abschiedsbrief der Verstorbenen. »Wer ist Katja?«
Frau Berg zögerte einen Moment, holte tief Luft. »Sie scheinen meine Tochter wirklich nicht gut gekannt zu haben«, erklärte sie dann. »Katja ist eine ihrer Freundinnen. Sie rief mich vor ein paar Tagen an und erzählte, dass sie einen Bekannten darum gebeten habe, sich um Beates Wohnung zu kümmern, weil sie wieder länger unterwegs sei.«
Braig sah keinen Sinn darin, seiner Gesprächspartnerin zu erklären, dass er ihre Tochter überhaupt nicht gekannt hatte, konzentrierte sich auf die Frau, die das Verbindungsglied zu dem angeblichen Herbert Bauer zu sein schien. »Wie heißt diese Katja noch? Ich meine mit Nachnamen?«
Frau Berg schien sprachlos.
»Sind Sie noch dran?«, fragte Braig nach kurzer Pause.
»Sie haben mich aus dem Konzept gebracht«, erwiderte sie, »ich weiß, wie seltsam es klingt, aber ich kann Ihnen im Moment ihren Familiennamen nicht nennen.«
»Das kann vorkommen«, versuchte er sie zu trösten, »später fällt es Ihnen bestimmt wieder ein. Haben Sie vielleicht ihre Telefonnummer oder die Adresse, wo sie wohnt?«
Diesmal antwortete die Frau sofort. »Junger Mann, Sie scheinen zwei Dinge zu verwechseln: Katja war nicht meine, sondern Beates Freundin.«
»Sie kennen sie also nicht näher?«
»Beate legte sehr viel Wert auf ein eigenständiges Leben. Was mir im Übrigen nur recht war. Wenn zwei starke Frauen gut miteinander auskommen wollen, ist es wichtig, dass sie sich gegenseitig klare Grenzen setzen. Ich mischte mich nicht in die Angelegenheiten meiner Tochter ein, sie nicht in meine. Seit wir uns an diesem Prinzip orientierten, kamen wir gut miteinander aus.«
Braig dachte unwillkürlich an seine Mutter, wünschte sich, er könne sein Verhältnis zu ihr in ähnlicher Weise regeln. Zwar hatte ihre Beziehung in den letzten Jahren an Schärfe verloren, doch waren sie immer noch weit davon entfernt, einen Zustand harmonischen Miteinanders zu erreichen. Ab und an, in emotional angespannten Situationen, blitzten die alten Aggressionen auf, verwandelten ihre Begegnungen in einen nur noch mühsam beherrschbaren Schlagabtausch zweier altgedienter Kämpfer.
»Wie komme ich dann an die Nummer oder die Adresse dieser Frau?«, fragte er nach kurzem Überlegen. »Können Sie mir trotzdem helfen?«
»Schauen Sie in Beates Notizbuch nach. Sie sind doch in ihrer Wohnung?«
Braig bestätigte ihre Frage mit einem knappen Ja.
»Also. Sie werden keine Schwierigkeiten haben, die Adresse zu finden. Meine Tochter war, bei allen Fehlern, die auch sie hatte, ein ordentlicher Mensch. Wäre ihr dieser verkommene Halunke nicht in die Quere gekommen, sie hätte sich das niemals
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