Schwaben-Angst
Schritt – ergab sich die Sache wie von selbst. Kein unbezwingbarer Berg mehr, kein Abgrund, der unmöglich zu überschreiten war. Inzwischen hatte sich fast schon eine gewisse Routine ergeben, ein eingespieltes Verfahren, eine fast schon vertraute Prozedur. Der Vorgang selbst verlief spielerisch, beinahe wie eine gemütliche Zeremonie.
Zuerst die von unverbindlicher Freundlichkeit geprägte Kontaktaufnahme, aufmunternde Blicke, unübersehbares Interesse an der Person. Dann die angeblich zufällig mitgeführte kleine Flasche, mal Rotwein, mal Weißwein, mal Sekt, je nach Laune. Ein freundlicher Plausch, gemeinsames Anstoßen und schon war das Feld bestellt. Die Vollendung der Aufgabe mitzuerleben musste nicht sein. Die unüberhörbaren Geräusche der letzten Sekunden waren auch aus mehreren Metern Entfernung beeindruckend genug. Die die jeweilige Zeremonie endgültig abschließenden Vorgänge ereigneten sich schließlich im Dienst der Sache, nicht aus voyeuristischen Motiven.
Der Fortgang der Ereignisse lag genau im Plan. Die Anfänge waren vollzogen, die Lösung der weiteren Probleme stand unmittelbar bevor. Einer nach dem anderen würde büßen, zur Rechenschaft gezogen werden, einer nach dem anderen die Konsequenzen für das tragen, wofür er verantwortlich war. Jeder von ihnen hatte es verdient, einer mehr als der andere.
Besonders der, der jetzt an der Reihe war. Der vor allem. Ein Ausbund an Machtgier und Rücksichtslosigkeit. Eine Existenz fern jeden moralischen Skrupels. Das Unheil, das er angerichtet, die Leichen, über die er hinweggetrampelt war, füllten ganze Friedhöfe. Damit hatte es jetzt ein Ende, für immer. Waren es schon die ersten Anzeichen von Vorfreude auf den nahen Exitus dieser Figur, die das Blut schneller fließen, das Herz häufiger pochen ließen?
Möglich war es. Schließlich handelte es sich, trotz aller inzwischen erarbeiteten Routine, um kein alltägliches Geschehen. Weiß Gott nicht. Dieses Vorgehen war immer noch etwas ganz Besonderes.
Es war Zeit. Höchste Zeit.
20. Kapitel
Helmut Hutzenlaub hatte gründlich gearbeitet. Bernhard Hemmers Fingerabdrücke waren so unübersehbar zahlreich über das gesamte Notenheft verteilt, dass es keinen Zweifel daran geben konnte, dass der Fernsehproduzent das Buch beim Orgelspielen häufig benutzt hatte.
»Die typischen Stellen beim Umblättern«, erklärte der Techniker am Telefon, »rechte beziehungsweise linke Seite, unten.«
Neundorf war vor Überraschung zu keiner Antwort fähig.
»Ihr sucht also an der richtigen Stelle«, fuhr Hutzenlaub fort, »irgendjemand aus dieser Wohnung hat mit dem Mord in Großaspach zu tun.«
»Beate Berg kann es nicht sein«, antwortete die Kommissarin, »sie war zu diesem Zeitpunkt bereits tot.«
»Dann steckt eine andere Person dahinter. Außerdem habe ich weitere Abdrücke entdeckt. Auf dem Titelblatt und der Rückseite des Notenhefts.«
»Du hast sie identifiziert?«
»Noch nicht. Aber sie sind identisch mit denen auf dem Glas aus der Küche. Das Glas mit dem winzigen Rest an Flüssigkeit, du erinnerst dich?«
»Natürlich.« Sie hatten es auf dem Tisch gefunden, inmitten des Durcheinanders an gebrauchten Tassen und Tellern. Im Gegensatz zum übrigen Geschirr trug es keine fest getrockneten Ränder, sondern enthielt einen Bodensatz heller Tropfen, war also frisch benutzt worden.
»Es handelt sich um Weißwein.«
»Lässt sich feststellen, wann zuletzt daraus getrunken wurde?«
»Das dürfte nicht allzu schwer fallen. Da die Reste noch flüssig waren, kann es nur wenige Stunden her sein. Über Nacht wäre das eingetrocknet, schließlich handelt es sich nur um einige Tropfen. Aus dem Glas hat heute jemand getrunken. Heute Morgen oder heute Mittag.«
»Was ist mit den Abdrücken – haben wir sie gespeichert?«
»Gespeichert nicht, nein. Aber sie sind uns dennoch nicht unbekannt.«
»Was heißt das?«
»Der Kuli in der Großaspacher Kirche.«
»Er trägt dieselben Abdrücke?«
»Ich habe sie miteinander verglichen. Sie sind identisch.«
»Das ist es«, rief Neundorf, »damit haben wir den Beweis!«
»Die Wohnung hat mit der Kirche zu tun, das ist jetzt endgültig klar. Es ist eure Aufgabe herauszufinden, wer dahintersteckt.«
Sie bedankte sich für die Information, berichtete Braig, was sie von Hutzenlaub erfahren hatte.
»Ich glaube, wir können uns gegenseitig gratulieren«, sagte er, »es scheint, als seien wir einen entscheidenden Schritt vorwärtsgekommen.«
Seine Kollegin lief
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