Schwaben-Angst
jammert. Seine Partnerinnen wechseln recht häufig, so weit ich das beurteilen kann. Ich höre jedenfalls öfters neue Namen.«
»Mit wem ist er zur Zeit liiert?«
Silvia Egerer sah ihn ratlos an. »Ich weiß keine Antwort, wenn ich ehrlich bin. Ich glaube, er ist solo.«
Braig nickte, bat um ein Bild des Mannes.
»Sie wollen ein Foto?«, fragte sie überrascht. »Würden Sie mir jetzt bitte endlich erklären, weshalb Sie überhaupt hier sind? Was hat Herr Fehr mit der Polizei zu tun?«
Er überlegte, ob er es ihr noch länger verheimlichen konnte, beschloss, seine Zurückhaltung aufzugeben. »Ich fürchte, er ist tot«, sagte er.
Sie hatte sich gerade erhoben, um ein Foto zu holen. Mitten in ihrer Bewegung verharrte sie, riss den Kopf zur Seite, starrte erst zu Braig, dann zu dessen Kollegen. »Wie bitte?«, hauchte sie.
»Würden Sie mir, bitte, jetzt ein Foto bringen? Sie haben doch irgendein größeres Bild von ihm? Oder?«
Sie wandte die Augen nicht von ihm weg, stolperte rückwärts aus dem kleinen Raum, prallte mit dem Rücken an die gläserne Trennwand. »Tot?«, murmelte sie, »tot?«
Braig presste seine Beine aneinander, fühlte sich zunehmend unbehaglich. Es waren einfach zu viele Todesnachrichten, die er in diesen Tagen überbringen musste.
Mit einer Broschüre in der Hand kam Silvia Egerer zurück. Sie schaute ihn fragend an, reichte ihm das Heft, ohne ein Wort zu sagen.
Braig studierte die Titelseite.
Kurierdienst Larch, eines der am schnellsten wachsenden Unternehmen der Branche
.
Der seltsame Text wurde von farbigen Bildern mit in gelbgrüne Trikots gekleideten Frauen und Männern illustriert. Er überflog die Aufnahmen, konnte kein bekanntes Gesicht erkennen.
»Was heißt, er ist tot?«, insistierte die Sekretärin nun mit trockener Stimme.
Braig blätterte um, sah den Mann vor sich. Ein großformatiges Foto mit kursiv gesetzter Erklärung.
Dieter Fehr, Geschäftsführer des Kurierdienstes Larch Südwest
.
Er war es, auch wenn seine Körperhaltung, der Blick seiner Augen, das Minenspiel seines Gesichts natürlich völlig andere Züge als auf der Tübinger Neckarinsel trugen. Die buschigen, sowohl im Tod als auch auf dem Foto nach allen Seiten störrisch abstehenden, blonden Haare. Die überdimensional großen Ohren. Das kantige Kinn.
Er war es, ohne Zweifel. Sie benötigten keine Identifikation durch eine dem Toten nahestehende Person – in diesem Fall wäre wohl Frau Egerer die Leidtragende –, konnten sicher gehen, dass sie das Opfer des neuen Verbrechens korrekt erkannt hatten.
Ein Blick zu seinem Kollegen bestätigte Braig vollends in seiner Auffassung.
Rauleder nickte. »Die Ohren«, meinte er, »und die Haare.«
»Herr Fehr ist tot? Wissen Sie, was Sie da sagen?« Silvia Egerer stand mit zerfurchter Stirn vor ihnen, blickte fragend auf sie herab. Ihr rechter Arm und ihre Hand zitterten.
»Ja, wir wissen es«, antwortete Rauleder. »Ihr Chef wurde heute Nacht ermordet.«
25. Kapitel
Das Seniorenheim, in dem Beate Bergs Mutter lebte, lag am nördlichen Rand der Tübinger Innenstadt, nicht allzu weit von den geisteswissenschaftlichen Fakultäten der Universität entfernt. Braig hatte sich von Lars Rauleder bis zur Neckarbrücke bringen lassen, wollte den Rest des Weges zu Fuß gehen, um seinen Kreislauf anzuregen und den Kopf wenigstens für ein paar Minuten auszuruhen. Als er die andere Seite des Flusses erreicht hatte, rief er Ann-Katrin an. Er hatte am Abend vorher nur kurz mit ihr telefonieren können, sich den Ablauf des Besuchs bei ihrer Schwester schildern lassen.
»Ich bin’s«, meldete er sich, »unter mir fließt der Neckar.«
»In Cannstatt?«, fragte sie.
»Tübingen«, antwortete er.
Ann-Katrin Räuber ahnte sofort, was geschehen war. »Was ist denn nun schon wieder passiert?«
»Leider eine noch viel ekelhaftere Sache als die vorher.«
»Blausäure?«
»Auf der Neckarinsel, ja.«
»Du tust mir Leid. Hört das nicht auf?«
Er wich einer Horde Schüler aus, die, bunte Ranzen auf dem Rücken, fast den gesamten Weg in Beschlag nahmen. Die Neckargasse war voller Menschen.
»Ich fürchte, nein. Erzähl mir lieber, wie es dir geht.«
»Das Übliche«, antwortete sie kurz.
»Also schlecht.« Er kannte sie gut genug, um ihre Worte zu verstehen. »Wo hast du Schmerzen?«
Ann-Katrin zögerte, ging nicht direkt auf seine Frage ein. »Ich wäre am liebsten ein paar Tage bei Theresa geblieben. Tübingen hat einfach eine irre Atmosphäre.«
Darüber kann man
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