Schwaben-Filz
Beau …
»Die ganze Nacht, ja«, antwortete er ohne jedes Zögern. So hatte er es mit seinem Freund abgesprochen, dabei blieb es.
»Wie kam die Tote in Herrn Hellners Garten?«
Weissmann ließ ein kurzes Lachen hören, zeigte strahlend weiße Zähne. Wie in der Zahnpastawerbung, überlegte Neundorf, ohne jeden Makel.
»Das können weder Götz noch ich Ihnen sagen. Wir haben damit nichts zu tun.«
»Sie haben sie sich angesehen?«
Seine Antwort ließ einen Moment auf sich warten. »Ja, schon«, sagte er zögernd. »Götz war völlig von den Socken. Er stand vor ihr, unbeweglich wie eine Salzsäule. Natürlich rannte ich da ebenfalls aus dem Haus und versuchte festzustellen, was im Garten lag.«
Die junge Bedienung kam, verschlang Weissmann mit ihren Augen, fand kaum zu der Konzentration, Neundorf nach ihrem Wunsch zu fragen.
Sie bestellte einen Latte Macchiato, wartete, dass sich die hübsche Brünette endlich vom Anblick des Märchenprinzen löste, hörte deren stotternd vorgebrachte Vergewisserung: »Einen, einen … Macchiato, ja?«
»Ja«, gab sie in energischem Tonfall zur Antwort, das unterschwellige
Mach jetzt endlich den Abflug
mühsam unterdrückend.
Die junge Frau schnappte nach Luft, drehte sich zur Seite, verließ kampflos den Tisch.
Neundorf wandte sich wieder ihrem Gesprächspartner zu, musterte ihn aufmerksam. »Herr Hellner stand vor der Leiche? Um wie viel Uhr war das?«
»Es muss kurz nach fünf gewesen sein. Wir wurden beide wach. So ein seltsames Geräusch.«
»Was für ein Geräusch?«
»Der Wind, wenn er in die Büsche fuhr. Die Äste, die durch die Luft schwangen oder irgendwo entlangscharrten. Und dann wohl auch die Plane, in der die Frau lag. Sie klatschte auf und zu.«
Neundorf sah das freundliche Lächeln in der Miene des Mannes, wunderte sich, dass er nicht Schauspieler geworden war. Schauspieler mit Dauerabonnement auf Liebhaberrollen. Weissmann hatte offensichtlich seine Selbstsicherheit wiedergewonnen, schien sich wohl zu fühlen als heißbegehrter Berichterstatter. Oder verstand er sich weniger als Berichterstatter, sondern vielmehr als Erzähler? Als Märchenerzähler, um es auf den Punkt zu bringen? »Dieses seltsame Geräusch – davon wurden Sie beide wach?«, hakte sie nach.
Ihr Gesprächspartner musste nicht lange überlegen: »Der Wind – er rumorte ganz schön heftig. Und das alte Haus seiner verstorbenen Tante, in dem Götz ab und an lebt, da scheppert es an allen Ecken und Enden.«
Der Wind, der Wind, das himmlische Kind. Neundorf spürte, wie es in ihr arbeitete. Für wie dumm hielt der Typ sie eigentlich? Lebte er in dem Wahn, sie mit seiner Erscheinung, seiner körperlichen Extraklasse betören, sämtliche Hormone in ihr in Aufruhr bringen zu können? Die Antworten, die er ihr präsentierte, waren abgesprochen, von Hellner und ihm gemeinsam zurechtgelegt, das war nicht zu überhören. Sie durfte sich das nicht länger bieten lassen. »Wo haben Sie geschlafen?«, fragte sie.
»Heute Nacht?«
»Ja, worüber sprechen wir gerade?«
Die Bedienung kam, himmelte Weissmann an, klatschte den Macchiato etwas zu kräftig auf den Tisch. Neundorf sah, dass der Milchschaum um ein Haar über den Tassenrand hinübergeschwappt wäre, warf der Frau einen wütenden Blick zu. Die Brünette gab irgendwelche seltsamen Laute von sich, die man mit viel gutem Willen als »Lassen Sie es sich gut schmecken!« interpretieren konnte, stolperte dann rückwärts davon, das Objekt ihrer Träume erst in allerletzter Sekunde, bevor sie beinahe mit einem anderen Gast zusammenprallte, aus den Augen lassend.
»Ich hoffe, Sie können den guten Latte genießen«, beeilte sich der Charming-Boy zu schmeicheln. Er schien zu spüren, dass sich der Wind langsam gegen ihn drehte, so sehr er sich auch bemühte, genau das zu verhindern.
Neundorf würdigte den Kaffee nicht eines weiteren Blicks. »Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.«
»Wo ich geschlafen habe heute Nacht?«
»Genau.«
»Ich nehme an, Sie haben die Inneneinrichtung des Hauses gesehen?«
»Wo?«, wiederholte sie. »Wo?«
»Im kleinen Zimmer, wie Götz es nennt. Dort steht ein Bett.«
»Ja«, sagte sie, die Räume in ihrer Erinnerung vor Augen. »Und Herr Hellner?«
»Auf dem Sofa im großen Zimmer.«
Sie musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen, hatte eine andere Antwort erwartet.
Bei mir natürlich
, zum Beispiel.
»Auf dem Sofa?«
»Er wollte es so. Ich habe ihm angeboten, dass ich das Sofa nehme, damit er in
Weitere Kostenlose Bücher