Schwaben-Filz
Erfahrungen der Kollegen der Abteilung Wirtschaftskriminalität – gang und gäbe in diesem Metier. Und wie wollte sie es beweisen und Zusammenhänge mit dem Mord an der jungen Ärztin herstellen?
Sie hatte ihren Sohn angerufen und sich von ihm berichten lassen, wie sein Vormittag in der Schule verlaufen war, dann seine begeisterte Schilderung des bei seinem Freund dargebotenen Mittagessens gehört. »Currywurst mit Ketchup, Majonäse und Pommes. Drei große Currywürste für jeden«, hatte er betont, den unterschwelligen Vorwurf »Warum gibt es zu Hause immer nur eine einzige?« zwischen den Zeilen versteckend.
»Und heute Mittag?«
»Badminton-Training, ehrlich.«
Sie hatte sich von ihm verabschiedet, dann das Haus der Ermordeten in der Waiblinger Altstadt aufgesucht.
Der Berg an Papieren und Kuverts auf dem Glastisch in Meike Kleemanns Wohnzimmer bestand aus persönlichen Briefen, ausgedruckten Mails, Zeitungsartikeln der verschiedensten Inhalte, unzähligen Schriften zu Atomenergie, Klimaerwärmung und
Stuttgart 21
sowie einigen Fotos.
»Wo habt ihr das entdeckt?«
Rauleder wies auf die Schubladen der hellen Schrankwand. »Das Meiste stammt aus diesen Fächern. Links die persönlichen Sachen, rechts der andere Kram. Vielleicht kannst du was damit anfangen. Vor allem mit den Fotos, Briefen und Mails vielleicht.«
»Was ist mit ihren anderen Medien: Computer, Laptop, Sticks, CD-Roms?«
»Wir sind dabei. Du erhältst eine Übersicht über alles, was wir finden.«
Neundorf nickte, erkundigte sich nach dem Handy der Frau.
»Nein, wir haben es noch nicht gefunden, obwohl wir die Wohnung grob durch sind. Anpeilen können wir es auch nicht, entweder es ist ausgeschaltet oder …«
»… der Täter hat es absichtlich zerstört«, ergänzte sie.
»Genau. In der Praxis liegt es ebenfalls nicht, wir haben dort angerufen. Und was ihre letzten Gespräche betrifft, die Liste ist angefordert, vor einer Stunde etwa.« Er warf einen kurzen Blick auf seine Uhr. »Dummerweise ist heute Freitag. Ob das noch reicht, keine Ahnung. Du weißt ja, wie die arbeiten.«
Neundorf bedankte sich, arbeitete sich stichprobenartig durch den Papierberg. Die ausgedruckten Mails hatten fast ausnahmslos beabsichtigte Aktivitäten und Kommentare zu Demonstrationen und Veranstaltungen gegen Atomkraftwerke und den unterirdischen Bahnhof zum Inhalt, mehrere Briefe dagegen waren persönlicher Natur. Zwei Namen tauchten immer wieder auf: Günther Ohlinger aus Freinsheim und Dr. Claudia Ohlrogge aus Aschaffenburg. Es schien sich um einen ehemaligen Patienten und eine Studienkollegin zu handeln, wenn sie die Inhalte der Briefe richtig analysierte. Dr. Claudia Ohlrogge. Irgendwo hatte Neundorf den Namen schon einmal gehört.
Sie schob die handschriftlichen Seiten an den Rand des Tisches, wandte sich den in unzähligen Kuverts verstauten Fotos zu. Meike Kleemann, sie glaubte sie jedenfalls zu erkennen, im Kreis verschiedener etwa gleichaltriger Frauen und Männer, dazu Aufnahmen aus früheren Jahren: Die Ermordete, jetzt deutlich jünger, in und vor irgendwie gleichförmigen, mehrstöckigen Gebäuden, dem Anschein nach einem großen Krankenhaus. Plötzlich hatte Neundorf eine Art Traueranzeige in der Hand.
IHRE HOCHWOHLGEBOREN DR. MEIKE KLEEMANN GIBT SICH DIE EHRE, THOMAS SALIER AUF DEN MÜLL ZU WERFEN
.
Dazu eine Adresse in Schwieberdingen samt Mobilnummer, alles in Großbuchstaben. Das klang nicht gerade besonders freundlich.
Sie erinnerte sich an die Aussage Dr. Welsers, bei dem Mann handele es sich um den ehemaligen Partner Meike Kleemanns, von dem sie sich nicht gerade im Frieden getrennt habe, nahm ihr Telefon zur Hand, gab die aufgeführte Nummer ein. Sie musste nicht lange warten; es knisterte und knackte, dann hatte sie die abgehackt klingende Stimme eines Mannes am Ohr.
»Herr Salier?«, erkundigte sie sich.
»Ja, hallo«, gab er zur Antwort, »genau. Und mit wem habe ich das Vergnügen?« Er schien gut gelaunt, war den Hintergrundgeräuschen nach zu urteilen gerade unterwegs.
»Katrin Neundorf, ich würde gerne mit Ihnen reden.«
»Oh, das klingt gut. Ich fahre nämlich gerade von der Arbeit weg und habe den ganzen Abend frei. Worüber wollen wir uns denn unterhalten?«
»Über Frauen im Allgemeinen«, feixte Neundorf, den saloppen Umgangston ihres Gesprächspartners annehmend, »und eine ganz konkret.«
»Eine? Wer soll das sein? Sie?«
»Meike Kleemann.«
»Oh, verdammter Mist! Wer sind Sie? Von der Polizei, ja?«
»Wie
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