Schwaben-Filz
Täter so vielleicht auf die Spur. Bitte, denken Sie darüber nach.«
Zögernd, mit unübersehbar großen Skrupeln hatte Dr. Welser Neundorfs Drängen nachgegeben. »Hier, dieser Mann: Dieter Rappold. Den hatte ich ganz vergessen. Der fiel mir jetzt erst wieder ein, weil ich sein Bild sah. Er hat Meike mehrfach bedroht.« Sie hatte auf ein Porträt eines etwa 35 Jahre alten Mannes gezeigt, der schnippisch in die Kamera lächelte.
»Weshalb?«
»Weil Meike kein Interesse an ihm hatte. ›Er kapiert es nicht‹, hat sie mehrfach erzählt, ›er will es einfach nicht begreifen.‹«
»Er wurde zudringlich?«
»Na ja, er stand abends vor der Praxis, wollte sie abholen. Und dann wurde er auch noch frech, als er merkte, dass sie definitiv kein Interesse an ihm hat.«
Neundorf hatte sich den Namen und die Anschrift des Mannes und seiner Firma notiert, war dann nach zwei vergeblichen Versuchen, ihn per Handy zu erreichen, ins Amt gefahren. So früh am Montagmorgen war der Herr anscheinend noch nicht ansprechbar.
Die Gestalt, die an der Pforte des Landeskriminalamtes auf sie wartete, kam ihr nur allzu bekannt vor. Vier Mal an diesem Wochenende hatte sie die Stimme des jeweiligen Kollegen vom Dienst in ihrem Handy gehabt, vier Mal die identische Botschaft im Ohr.
»Ein Herr Dr. Renck möchte Sie sprechen. Es sei äußerst dringend, er könne unmöglich warten. Er habe etwas Wichtiges entdeckt.«
Neundorf hatte sich nicht beeindrucken lassen. Der alte Spinner jetzt auch noch am Wochenende, danke, das musste nicht sein. Wollte er ihr neue Beweise für Hellners Homosexualität vorlegen? Um ihm jetzt noch aus dem Weg zu gehen, war es zu spät. Er hatte sie offensichtlich bereits entdeckt, als sie die Eingangshalle betreten und auf die Pforte zugelaufen war.
In einem gut geschnittenen, anthrazitgrauen Anzug, weißem Hemd und dezenter, dunkler Krawatte blickte er ihr erwartungsvoll entgegen, seinen Mantel leger über den linken Arm geworfen. »Sieh an, die Frau Hauptkommissarin persönlich.« Er deutete eine höfliche Verbeugung an, begrüßte sie mit ausgestreckter Hand.
Neundorf blieb nichts übrig, als mitzuspielen. »Sie wollen zu mir?«
Dr. Renck spitzte die Lippen. »Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, eilt der Berg eben zum Propheten«, frotzelte er.
Neundorf hatte keine Lust, den Mann mit in ihr Büro zu nehmen, deutete auf eine der Bänke. »Wenn wir uns einen Moment setzen?«
Er gab sich damit zufrieden, nahm neben ihr Platz. »Ich nehme an, Sie sind noch nicht am Ziel mit Ihren Ermittlungen?«, fragte er.
»Was wollen Sie mir mitteilen?« Sie sah keinen Grund, ihn in irgendwelche dienstlichen Interna einzuweihen, kam unvermittelt zur Sache.
»Ich habe jemand erkannt«, sagte Dr. Renck. »Und ich bin mir, um es von Anfang an klarzustellen, absolut sicher damit.«
So sicher wie mit den diffamierenden Äußerungen zum Sexualleben deines Nachbarn, überlegte sie. Sie reagierte nicht auf seine Worte, wartete auf Erklärungen.
Er nahm seinen Mantel, legte ihn sorgsam auf seinen Schoß, zog dann eine Zeitung aus einer Aktentasche. »Der Mann hier, er ist es.« Er schlug zwei Blätter zurück, hielt ihr ein Foto vors Gesicht.
Immobilienmakler im Hohenheimer Schlosspark ermordet aufgefunden
, konnte sie lesen.
»Diesen Fall bearbeitet mein Kollege«, erklärte sie schnell. »Da müssen Sie sich an ihn wenden.« Sie war schon dabei, aufzustehen und sich von ihm zu verabschieden, als sie seine Worte hörte.
»Dieser Mann hatte mehrfach Streit mit meinem Nachbarn. So wahr ich hier sitze.«
»Wie bitte?« Neundorf ließ sich auf die Bank zurückfallen. Was war das jetzt wieder? Eine neue Variante seiner bornierten Weltsicht? »Dieser Mann?« Sie tippte mit ihrem rechten Zeigefinger auf die Zeitung. »Dieser Mann heißt Grobe und wohnt in Esslingen, nicht in Reutlingen. Lesen Sie den Text, hier steht es.«
»Was soll der Quatsch?«, maulte ihr Gesprächspartner. »Halten Sie mich für blöd? Natürlich weiß ich, dass er in Esslingen wohnte. Aber das hinderte ihn nicht daran, ein Verhältnis mit einer Frau in Reutlingen einzugehen. Mit meiner Nachbarin, um es genau zu sagen.«
»Was für eine Nachbarin?« Neundorf war von der Bank aufgesprungen, betrachtete den Mann mit ungläubiger Miene. »Was wollen Sie Hellner denn noch alles andichten? Erst erklären Sie ihn für schwul, jetzt wollen Sie seine Frau mit …«
Dr. Renck fiel ihr mitten ins Wort. »Doch nicht Hellner! Was wollen Sie denn mit dem? Ich rede
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