Schwaben-Filz
meinen Mann. Es kann sich nur um die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag handeln. Wir fuhren an diesem Morgen an den Bodensee und blieben vier Tage dort bis gestern Abend. Und dass es kurz nach Mitternacht war, weiß ich deshalb, weil wir am Abend extra etwas früher ins Bett gegangen waren, um am nächsten Morgen ausgeschlafen zu sein. Und wir schauten auf die Uhr, als wir von dem Theater wach wurden.«
Braig hatte die ganze Zeit über verfolgt, wie Söderhofer bei jedem Satz der Frau tiefer in seinem Sitz versunken war. Das Gesicht des Staatsanwalts verlor mehr und mehr an Farbe, mit bleichem, fast fahlem Teint hockte er schließlich auf dem kalten Leder.
Sogar Lilly Funk war die Veränderung aufgefallen. »Ist Ihnen nicht gut?«, fragte sie, Söderhofer mit besorgter Miene musternd.
Der Mann schüttelte den Kopf, kämpfte sich mühsam in die Höhe. Er überragte ihre Gastgeberin um weit mehr als einen Kopf, blickte schwer atmend zu ihr hinunter. »Danke«, sagte er nur, trottete dann mit schweren Schritten aus dem Haus.
Braig verabschiedete sich von der Frau, bat sie, falls nötig, für weitere Auskünfte zur Verfügung zu stehen, folgte dem Staatsanwalt.
Der wusste nichts von der Sache, überlegte er, den hatte das Ganze genauso überrascht wie ihn selbst. Oder ärgerte er sich nur darüber, dass die Nachbarn den Streit beobachtet hatten und er, Braig, dadurch auf die sexuellen Eskapaden seiner Ex mit Ruppich aufmerksam wurde?
Er war sich nicht sicher, passierte die Gartenmauer der Funks. Söderhofer hatte das Anwesen Grobes bereits erreicht, blieb im Abstand von mehreren Metern stehen.
»Dann werden wir uns die Dame mal vornehmen und sie fragen, weshalb sie uns so dreist angelogen hat«, erklärte Braig.
Er sah, wie der Staatsanwalt seine Rechte erhob und zu einer Antwort ansetzte, dann aber kraftlos abwinkte und außer einem: »Braig, ich bitte Sie« nichts weiter hervorbrachte.
Was sollte er auch sagen? Er konnte sich Braigs Wunsch, Sonja Grobe mit der Aussage ihrer Nachbarin zu konfrontieren, nicht verschließen, musste weitgehend hilflos mitansehen, wie die Frau reagierte.
Der Kommissar öffnete die Gartentür, lief zum Haus. Esslingens Altstadt lag ihnen zu Füßen. Er sah den kanalisierten Lauf des Neckar, dahinter die schmalen Gassen des Zentrums, die grüne Fläche der Maille um den Neckarkanal, die Festungsanlagen der Burg. Als er sich der Klingel zuwandte, wurde die Tür geöffnet. Sonja Grobe trat in gewohnt perfekter Aufmachung aus dem Haus, reichte ihm die Hand.
»Ah, der Herr Kommissar.« Sie trug einen dunkelblauen Pullover und ähnlich dunkle Jeans, war dezent geschminkt. Nichts in ihrer Aufmachung und ihrem Verhalten deutete darauf hin, dass sie vor wenigen Tagen auf solch brutale Weise zur Witwe geworden war.
Braig grüßte, wartete, bis sie dem Staatsanwalt die Hand geschüttelt und ihn kurz an sich gedrückt hatte, folgte ihr dann ins Wohnzimmer, wo sie am vergangenen Donnerstag schon einmal Platz genommen hatten.
»Was darf ich anbieten? Kaffee, Wasser, Tee?«
Das Ritual ähnelte dem der letzten Woche in verblüffender Weise.
Braig wehrte erneut ab. »Frau Grobe, vielen Dank, aber ich möchte schnell zur Sache kommen. Wir haben da nämlich ein Problem.«
»Aber du, Teddy, willst doch sicherlich eine Kleinigkeit?«
»Danke, Sonja, lass gut sein.«
Sie schien sich über den Verzicht ihres Freundes zu wundern, betrachtete ihn mit großen Augen.
Braig verspürte keine Lust auf ein unnötiges Geplänkel, beschloss, direkt zum Thema zu kommen. »Wir stehen bei unseren Ermittlungen vor der Frage, wann genau Ihr Mann verschwunden ist«, sagte er deshalb. »Um wie viel Uhr etwa haben Sie ihn am Mittwoch zuletzt gesehen?«
»Um wie viel Uhr? Aber das habe ich Ihnen doch schon erzählt«, antwortete die Frau. Sie setzte sich, wandte sich dem Kommissar zu.
»Wann war das genau?«
Sie musste nicht lange überlegen. »Gegen 18 Uhr. Er hatte anschließend noch das Geschäftsessen in dieser guten Wirtschaft …«
»Ja, das haben wir überprüft«, sagte Braig, Sonja Grobe aufmerksam musternd. »Am Mittwoch um 18 Uhr haben Sie Ihren Mann also zum letzten Mal gesehen, das ist richtig?«
»Gegen 18 Uhr, kurz vorher oder später, ja. Auf die Minute genau kann ich Ihnen das nicht sagen. Warum wollen Sie das so genau wissen?«
»Weil ich Ihnen persönlich in die Augen schauen will, wenn Sie mich anlügen«, antwortete er.
Sonja Grobe erbleichte auf der Stelle. Verwirrt wandte sie den Blick
Weitere Kostenlose Bücher