Schwaben-Hass
geöffneten Fenstern. Seine Augen hatten sich an die dämmrige Umgebung gewöhnt, er sah, dass ein älterer, farbig gemusterter Vorhang im Wind baumelte.
»Frau Gänsmantel!«
Die Wände rings um den Hof warfen Weidmanns Stimme als Echo zurück. Kein Laut außer dem Heulen der Motoren draußen auf der Straße war zu hören.
»Frau Gänsmantel!«
Der Wind strich über die Dächer, setzte Dachrinnen und Teile des abgeblätterten Putzes in Bewegung. Ein Schwall kalten Wassers klatschte neben dem Journalisten zu Boden. Weidmann trat zwei Schritte zurück, sah sich ratlos um. Keinerlei Reaktion. Sein Rufen verhallte ungehört.
Er lief wieder zur Eingangstür, klopfte, drückte die Klinke nieder. Die Tür gab nach, war nicht verschlossen. Überrascht öffnete er sie, trat vorsichtig ins Haus.
Modriger Geruch vom ersten Schritt an. Ein schmaler, dunkler Flur, der nur in Umrissen zu erkennen war. Weidmann wartete, suchte dann nach einem Lichtschalter. Er fand ihn, erschrak, als die Glühbirne an der Wand neben ihm aufleuchtete. Rechts eine gewundene Holztreppe nach oben, unter ihr eine verbogene Holztür. Links ein schweres Eichen-Portal mit abgerundeter Kante. Weidmann blieb stehen, lauschte.
»Frau Gänsmantel?«
Keine Reaktion.
Er trat vor die massive Eichentür, öffnete sie vorsichtig, machte Licht. Das Zimmer, ursprünglich wohl der Wohnraum des Hauses, glich einer Gerümpelsammlung. Teller, Tassen, Puppen, Plastikfiguren, Bilder, Scherben, kreuz und quer über den Raum verteilt. Mittendrin ein mächtiger umgestürzter Schrank, die Schubladen herausgerissen, übereinandergestapelt. Stühle, Kissen, Zeitungen auf einem Haufen – ein Ort mutwilliger Zerstörung.
Weidmann betrachtete das Schlachtfeld, hörte plötzlich ein leises, zaghaftes Geräusch. Erschrocken starrte er auf den Schrank, der ihm die Sicht auf die hintere Hälfte des Raumes versperrte.
»Frau Gänsmantel?«
Er stieg vorsichtig über einen umgestürzten Stuhl, versuchte, nicht in das Bild zu treten, das an der Schrankwand lehnte, sah plötzlich die Bewegung. Eine lange schwarze Masse schoss auf ihn zu, knallte ihm auf die Brust, warf ihn zur Seite. Erschrocken klammerte er sich an der massiven Tür fest, fuhr sich übers Gesicht. Eine schwarze Katze stand im Hur, miaute leise. Weidmann zitterte vor Schreck.
Er verließ den völlig verwüsteten Raum, löschte das Licht, schloss die Tür. Als er aus dem Haus trat, schoss das Tier an ihm vorbei in die Dunkelheit, sprang über den Hof. Er versuchte, ihm mit seinen Blicken zu folgen, sah, dass es auf den Stall zulief und dort an der kleinen Tür Halt machte. Sie richtete sich auf, kratzte mit beiden Vorderpfoten am Holz, miaute laut.
Weidmann schüttelte die Feuchtigkeit von sich ab, die in feinen Tropfen vom Himmel fiel, atmete tief durch. Der Modergeruch der Wohnung steckte in seinen Kleidern.
Das Zimmer war mutwillig zerstört worden, so viel war klar. So wenig gepflegt sich das gesamte Anwesen hier auch präsentierte, der chaotische Zustand des Wohnraumes war das Resultat bewussten Vandalismus, nicht langsamen Dahingammelns. Dass die Katze in diesem Chaos eingeschlossen war …
Weidmann hörte das tiefe Maunzen des Tieres, das fast schon menschlich wehleidige Töne angenommen hatte, sah, wie es unruhig an der Stalltür kratzte. Vor dem Eingang zum Hof stand sein Taxi.
Er lief einige Schritte auf das Auto zu, signalisierte dem Fahrer, dass er noch einen Moment warten solle.
Die Katze gab keine Ruhe. Weidmann näherte sich ihr behutsam, sah die Aufregung in den Augen des Tieres. Er spürte, wie ihn ein Regenschauer völlig durchnässte, stakste an dem schwarzen Wollknäuel vorbei zur Tür, drückte die Klinke nieder. Knarzend gab sie nach. Die Katze verstummte, schoss ins Innere des Stalls.
Weidmann starrte ins Dunkle, tastete nach dem Lichtschalter.
Er sah die leeren Holzkisten, ordentlich aufeinander gestapelt, als befände er sich auf einem anderen, gepflegteren Anwesen, Unmengen leerer Kartoffelsäcke, ein mächtiges, mehrere Meter breites, mehr als mannshohes Regal, fast vollständig mit schmalen Eierkartons gefüllt. Auf dem Boden davor fester, gestampfter Lehm.
Weidmann näherte sich vorsichtig, hörte die Katze hinter einem Berg mit Holzscheiten bedeckter Kisten laut miauen. Er lief zu dem Stapel, starrte um die Ecke. Der Anblick raubte ihm den Atem.
Klaus Weidmann hatte viel gesehen, erst in vier Jahren als Lokalredakteur bei einer Dortmunder Zeitung, später bei einem
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