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Schwaben-Herbst

Schwaben-Herbst

Titel: Schwaben-Herbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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überlegen, erkannte die Person auf den ersten Blick, hatte sie sich doch ausführlich mit ihr unterhalten und noch am Morgen zum letzten Mal mit ihr telefoniert: Julia Gerber, Holdenrieds ehemalige Freundin. Der Mann musste in außergewöhnlichem Maß an ihr hängen, anders waren die vielen Fotos hier im Zimmer nicht zu erklären. In wirklich außergewöhnlichem Maß. So sehr, dass er über Andreas Sattler, den Mann, der ihm die Frau des Lebens gestohlen hatte, hergefallen war und ihn ermordet hatte?

7.
    Endlich hatten die letzten Besucher die Zehntscheuer in Köngen verlassen. Tanja Giebert hörte das Schloss der Eingangstür einrasten, schob die restlichen Stühle vollends an den gewohnten Platz.
    »Zehn vor Elf«, schallte die Stimme ihrer Kollegin aus dem Vorraum. »Ich kann es kaum glauben. Wir haben es tatsächlich geschafft.«
    Sie sah die Frau mit müdem Gesicht und leicht nach vorne gebeugter Körperhaltung in den Veranstaltungsraum zurückkommen, konnte deren Erleichterung fast körperlich spüren. Über drei Monate hinweg hatten sie sich auf diesen Freitag Abend vorbereitet, Plakate und Handzettel drucken lassen und sie ausgehängt, Journalisten mehrerer Zeitungen, Buchhändler, Schulen, Vereine, Mitteilungsblätter und Rundfunksender der gesamten Umgebung verständigt und informiert, Tag für Tag die Kundinnen und Kunden der Gemeindebücherei an die Veranstaltung erinnert und unablässig die Werbetrommel gerührt – alles zusätzlich zu den gewohnten beruflichen Verpflichtungen.
    Lesen statt glotzen – Bücher statt Bildschirm – die Zukunft unserer Kinder sichern!
    Dem Vortrag samt anschließender Diskussion waren Gäste aus der gesamten Umgebung des Städtchens gefolgt. Der erst vor wenigen Jahren frisch renovierte, im Fachwerkstil der alten Zehntscheuer stimmungsvoll von mächtigen Holzbalken geprägte Saal war bis auf den letzten Platz besetzt gewesen, ein erstaunlich großer Teil der Zuhörer hatte sich an der den Ausführungen des Vortragenden anschließenden öffentlichen Diskussion beteiligt.
    Ob die große Nachfrage allein der an diesem Abend zur Sprache gebrachten Problematik oder eher der bewusst provokanten Formulierung des Themas sowie dem hochkarätigen Referenten zu verdanken war, blieb dabei sekundär. Martin Grauselmaier, alt gedienter Abgeordneter des Landtags in Stuttgart und zuvor des Bundestags, schien mit seinem vehementen Plädoyer für eine Renaissance der Lesekultur und einer staatlich gebotenen Bändigung der neuen Medien dem lang anhaltenden Beifall am Ende der Veranstaltung nach den Nerv des Publikums voll getroffen zu haben. Dieser Abend war ein Highlight des Kulturherbstes unserer Region, hatte ein bekannter Journalist vor wenigen Minuten in einem ersten Statement öffentlich attestiert, die örtlichen Honoratioren mit stolz geschwellter Brust in dem Bewusstsein aus der Zehntscheuer schreiten lassend, es denen in Esslingen, Plochingen, Wendlingen, Wernau, Deizisau, Kirchheim, Nürtingen und Denkendorf wieder einmal gezeigt zu haben. Und in der Tat war es dem um die rührige junge Gemeindebüchereileiterin gescharten Team gelungen, dem kleinen, durch sein aufwendig restauriertes römisches Kastell, die 1602 an der Stelle ihrer römischen Vorgängerin erbaute Ulrichsbrücke über den Neckar, die spätgotische evangelische Kirche und das aus dem 12. Jahrhundert stammende Schloss bekannten Ort mit regelmäßig im Abstand von wenigen Wochen stattfindenden Vorträgen, Lesungen und Diskussionen ein eigenständiges kulturelles Profil im Kreis der weit größeren Nachbarstädte zu verleihen. Dieser Abend trug, das ließ sich jetzt schon sagen, einen guten Teil zu dieser Entwicklung bei.
    Erschöpft, aber zufrieden schob Tanja Giebert den letzten Stuhl an seinen gewohnten Platz.
    »Wir können?«, fragte ihre Kollegin. Marina Hölzle lehnte müde an der Tür, wartete, bis die junge Büchereileiterin den Raum verlassen hatte, löschte das Licht. Augenblicklich versanken die mächtigen Holzbalken im Dunkel der Nacht. Sie schlossen die Tür, folgten der Treppe nach unten.
    Der Bücherei-Eingangsbereich war hell erleuchtet. Tanja Giebert gähnte leise, nahm ihre Jacke vom Haken, streifte sie sich über, half ihrer Kollegin in den Mantel.
    »Du bist ganz schön fertig«, meinte Marina Hölzle. »Schaffst du es noch nach Dettingen?«
    »Das geht schon. Hauptsache, ich muss nicht in der Bücherei übernachten.« Sie griff nach ihrer Tasche, spürte, wie sie ihr aus der Hand rutschte. Mit

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