Schwaben-Herbst
kurz vor Mitternacht. Zehn, fünfzehn Minuten vor Zwölf etwa. Wir haben uns vorhin schon ausführlich über die Uhrzeit unterhalten, genauer bekomme ich es nicht mehr auf die Reihe. Vielleicht erinnern sich Herr Ellinger, mein Chef, und seine Frau noch daran, ich habe sie seither nicht mehr gesprochen. Weil es so spät ist. Ich wollte sie nicht wecken, die schlafen bestimmt. Auf jeden Fall«, er holte mit seiner rechten Hand weit aus, zeigte in die andere Richtung, »kam ich von dort die Otto-Bayer-Straße entlang.« Er betrachtete Braig mit aufgeregter Miene, vergewisserte sich, dass der Kommissar seinen Ausführungen mit voller Aufmerksamkeit folgte.
»Und dann?«
»Und dann?«, wiederholte Bareiss entgeistert über so viel sachliche Nüchternheit. »Dann sah ich den Kerl, hier, genau an dieser Stelle, wie er auf die Frau einschlug. Brutal, wie im schlimmsten Film. Hier, mit diesem Eisen oder was immer das ist.« Er deutete auf einen schmalen, etwa dreißig Zentimeter langen Stab, der keinen Meter von ihm entfernt auf dem Boden lag. »Ihre Kollegen haben darum gebeten, ihn liegen zu lassen, für Ihre Untersuchungen, also wegen der Abdrücke.«
Braig betrachtete den Gegenstand, sah, dass es sich um ein schmales Metallrohr handelte, das wohl von Handwerkern benutzt wurde. Wenn der Täter tatsächlich mit diesem Stück auf die Frau eingeschlagen hatte, musste sie schwer verletzt sein.
»Sie haben es nicht berührt?«
»Ich?« Bareiss wehrte Braigs Frage entsetzt ab. »Um Gottes Willen. Ich habe doch selbst gesehen, wie der Kerl es benutzt hat, um …« Er brach seinen Satz ab, überlegte, kam dann auf einen anderen Punkt zu sprechen. »Ich wusste am Anfang natürlich nicht, dass es sich um einen Eisen- oder Metallstab handelt. Das ging alles viel zu schnell. Sie dürfen nicht vergessen, ich fuhr die Straße entlang, als ich den Kerl plötzlich auf die Frau einschlagen sah.«
»Ich verstehe. Und dann?«
»Und dann? Ich stieg voll auf die Bremse, hielt mitten auf der Straße an und sprang aus meinem Golf.«
»Sie hatten keine Angst?«
»Mein Gott, haben Sie sonst keine Sorgen?« Bareiss schüttelte ungeduldig den Kopf. »Ob ich Angst hatte? Was weiß ich. Ich bin nicht besonders mutig, das sicher nicht. Aber das ging alles so schnell. Ich komme die Straße entlang, sehe den Kerl auf die Frau einschlagen und springe auf die beiden zu. Das war eben so. Glauben Sie, ich hatte lange Zeit, zu überlegen, was ich jetzt tun soll? Gesehen und raus, fertig.«
»Sie haben auf jeden Fall vorbildlich gehandelt«, attestierte Braig. »Wie reagierte der Kerl?«
»Wie der reagierte?« Bareiss holte tief Luft. »Der bemerkte mich überhaupt nicht, zuerst jedenfalls, meine ich. Der drosch weiter auf die Frau ein, wie im Rausch. Erst als ich schon fast bei ihnen angelangt war und ihn direkt vor mir hatte, nahm er mich wahr.«
»Er griff Sie nicht an?«
»Der rannte davon, von einer Sekunde auf die andere. Er starrte mich an, total perplex, drehte sich zur Seite, sprang den Gehweg entlang, dann auf die Straße. Wie ein Karnickel, dachte ich in dem Moment. Er schlug Haken, lief nicht gerade über die Fahrbahn. Das Eisen ließ er sofort, gleich am Anfang, fallen. Ich höre jetzt noch den metallischen Ton des Aufpralls auf dem Boden.«
»Was war mit der Frau?«
»Mit der Frau? Sie kniete auf dem Boden, schrie vor Schmerzen. Ich bückte mich nieder, versuchte ihr zu helfen. Sie stieß mich weg. Ich dachte, die steht unter Schock, die begreift überhaupt nicht, dass ich nicht der Angreifer bin. Deshalb ließ ich sie in Ruhe, drehte mich um, schaute nach dem Kerl. Der rannte an meinem Golf vorbei, sprang zu einem Daimler, der dort drüben auf der anderen Seite geparkt war, riss die Tür auf und startete den Motor.«
»Sofort? Er startete sofort?«
»Auf der Stelle. Es muss sein eigenes Fahrzeug gewesen sein. Er hatte es offensichtlich dort abgestellt.«
»Ein Daimler?«
»E- oder S-Klasse. Genau kann ich es nicht sagen.«
Braig starrte sein Gegenüber überrascht an. »Keine A-Klasse?«
Bareiss schüttelte energisch seinen Kopf. »Nein. E oder S. Ein dicker Schlitten. Ich sah es genau, als ich hinter ihm her raste.«
»Sie haben ihn verfolgt?«
»Sie haben ihn verfolgt?« Der Mann stampfte mit dem Fuß auf den Boden. »Was glauben denn Sie? Natürlich habe ich ihn verfolgt. Ich wollte das Schwein doch zur Rechenschaft ziehen.«
»Und weiter?«
»Weiter? Ich habe ihn verloren, irgendwo bei der Auffahrt auf die
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