Schwaben-Liebe
Bahnhof in Hessental, Geld und Handy dabei«, hatte er, all ihren Protesten zum Trotz beharrt, »oder deine Ärzte und Patienten dürfen ein paar nette Bilder sehen. Falls dir das gefällt.«
Sie hatte sich das Geld am Nachmittag bei der Bank besorgt, insgesamt 8.000 Euro in normalen Scheinen, es zu Hause in eine Plastiktüte gepackt und diese seinem Wunsch entsprechend fest verschnürt. Iris Vermächtnis war damit vollständig aufgebraucht, ihr eigenes Konto dazu noch um annähernd 500 Euro überzogen. Den ganzen Mittag war sie damit beschäftigt gewesen, zu überlegen, wie sie das Manfred erklären sollte. Was sagen, wenn er oder Dominik auf den Wunsch nach einem extravaganten Urlaub in diesem Sommer zu sprechen kamen? Wie die Tatsache erklären, dass das Geld komplett verschwunden, für einen skrupellosen Erpresser verschwendet worden war?
Skrupelloser Erpresser, zum ersten Mal hatte sie es gewagt, den Kerl, mit dem sie eine einzige Nacht, nein, nur wenige Stunden verbracht hatte, so im Stillen für sich zu bezeichnen. Skrupelloser Erpresser, denn darum handelte es sich bei ihm …
Das Läuten ihres Handys riss sie aus ihren Gedanken. Sie zog es aus der Tasche, studierte das Display.
Unbekannter Anrufer
, das musste er sein. Um nichts in der Welt hätte sie jetzt mit Manfred oder Dominik reden können.
»Du bist im Bahnhof in Hessental«, hörte sie seine Stimme. »Das ist schön, mein Schatz.«
Erschrocken schaute sie sich um, suchte den Bahnsteig mit ihren Blicken ab. »Wo, wo sind Sie?«, fragte sie irritiert.
»Ich bin immer dort, wo du auch bist, mein Schatz«, antwortete er. »Du hast alles dabei?«
Sie griff ins Innere ihres Mantels, schaute sich um. »Soll ich es Ihnen geben?«
»Einen Moment noch«, erklärte er. »Wir machen das etwas anders. Zuerst gehst du zum Automaten und holst dir eine Fahrkarte nach Stuttgart.«
»Eine Fahrkarte nach Stuttgart?«
»Genau. Du solltest dich aber beeilen. Der Zug geht in fünf Minuten. Von Gleis 2. Du musst noch durch die Unterführung.«
»Aber ich kann doch jetzt nicht …« Sie dachte an Manfred und Dominik, hoffte, dass sie ihr die Lüge, die sie ihnen schriftlich aufgetischt hatte, abnehmen würden.
Es tut mir leid
, hatte sie auf einem Blatt auf dem Wohnzimmertisch hinterlassen,
aber ich habe mein Handy verloren. Ich war auf dem Nachhauseweg noch in der Stadt, wahrscheinlich ist es da passiert. Ich bin noch mal raus, nach ihm suchen. Falls ich noch nicht zurück bin, esst bitte gemeinsam zu Abend. In Liebe, Tanja und Mama
.
»Ich kann doch jetzt nicht nach Stuttgart fahren«, versuchte sie zu protestieren, »mein Mann und mein Sohn …«
»Das kannst du nicht? Na gut, wenn du willst, dass deine Kollegen und Patienten und deine Chefs die Fotos …«
»Nein, natürlich nicht!«, rief sie laut. Sie sah, wie sich mehrere der auf dem Bahnsteig Wartenden zu ihr umdrehten. »Aber was soll ich denn in Stuttgart?«, fuhr sie leiser fort, verzweifelt darum bemüht, Fassung zu bewahren. »Ich habe das Geld doch hier bei mir. Warum holen Sie es denn nicht ab?« Sie fühlte sich nicht wohl, musterte die Gesichter um sich herum. Keine auffällige Reaktion.
»Das lass nur mal meine Sorge sein, mein Schatz«, gab er zur Antwort. »Jetzt geh zum Automaten, es wird Zeit. Eine Fahrkarte nach Stuttgart, klar?«
Sie schaute sich um, suchte nach einem Automaten, entdeckte ihn wenige Meter von sich entfernt. Sie gab den gewünschten Zielort ein, griff nach ihrem Geldbeutel, steckte einen Schein in die vorgesehene Spalte. Das Gerät begann mit mahlenden Geräuschen zu arbeiten, spuckte dann die Fahrkarte und das Restgeld in den markierten Trog. Tanja Geible steckte alles in ihre Manteltasche, hörte seine Stimme aus dem Handy.
»So, du hast die Fahrkarte, ja?«
»Ja.«
»Dann solltest du dich jetzt wirklich beeilen. Der Zug kommt gleich. Gleis 2, durch die Unterführung. Du steigst in den letzten Wagen, verstanden?«
»In den letzten Wagen. Und Sie kommen dann ebenfalls?«
»In den letzten Wagen. Der Zug nach Stuttgart. Beeilung jetzt.«
Sie ergab sich in ihr Schicksal, folgte den Stufen in die schmale Unterführung. Eine Gruppe junger Mädchen sprang laut kichernd vor ihr her.
»Jenni will heute Abend noch zu Basti«, hörte sie eines der Mädchen rufen.
»Ich? Bist du verrückt?« Ein blond gelocktes, mit einer kurzen Jacke und knallengen Jeans bekleidetes, junges Ding blieb mitten in der Unterführung stehen, tippte sich an die Stirn. »Doch nicht zu dem
Weitere Kostenlose Bücher