Schwaben-Rache
reagierte nicht so, wie Braig es erwartet hatte. Er nahm seine Tasse, trank ruhig den Kaffee.
»Warum wurden Sie verurteilt?«
»Das wissen Sie doch genau.«
»Ich würde es gerne von Ihnen selbst hören.«
»Trauen Sie Ihren Akten nicht?«
»Aus Ihrem Mund klingt es verständlicher.«
Kahn lachte leise, wischte sich den Schlaf aus den Augen. »Ich habe eine verdammte Abneigung gegen Leute, die auf Kosten anderer leben«, erklärte er.
»Das ehrt Sie.«
»Führt aber in unserer Gesellschaft schnell ins Abseits.«
Braig betrachtete ihn gereizt. »Ihre Logik begreife ich nicht.«
»Dann haben Sie über Ihr Leben zu wenig nachgedacht. Ich schaue nicht untätig zu, wenn ein neureicher Provinzfürst wie Otto Schmidt seine Arbeiter wie den letzten Dreck behandelt, schließlich ist er durch ihre Arbeit reich geworden.«
Braigs Blick drückte seine Skepsis deutlich aus.
»Sie können sich die alltäglichen Willkürakte in einem solchen Kleinbetrieb wohl nicht vorstellen. Sie als Beamter sind davor weitgehend gefeit.«
»Sie kennen meine Vorgesetzten nicht«, entgegnete Braig, der sich bemühte, die unangenehmen Gedanken an Napoleon und die Hodenentzündung schnell wieder zu verdrängen.
»Schikane um der Schikane willen, nur um zu zeigen, wer am längeren Hebel sitzt. Anbrüllen, sticheln, dumme, süffisante Bemerkungen, dämliches Grinsen, zweideutiges Gekeife, das ist Otto Schmidt live.«
»Was hat Schmidt mit Ihrem Prozess zu tun?«
»Nichts. Aber viel mit meiner Entlassung. Weil ich die Leute miteinander ins Gespräch gebracht habe, damit sie sich gemeinsam gegen seine Willkür wehren. Deshalb hasst mich der Mann so.«
»Sie kämpfen gegen die Ungerechtigkeit der Welt? Ein edles Unterfangen!«
Kahn schenkte ihnen Kaffee nach. »Sie können sich Ihre Frotzelei sparen. Vielleicht brauche ich meine Aufsässigkeit weniger, um anderen zu helfen, als vielmehr, um mich selbst zufriedenzustellen. Altruismus ist eine andere Form von Egoismus, das gebe ich gerne zu. Aber ich habe es satt, ständig mit ansehen zu müssen, wie die einen auf Kosten der anderen schmarotzen. Deshalb haben wir damals ein kleines Dorf aus Zelten und Holzhütten mitten in die geplante Autobahntrasse gebaut und versucht, den Bau der Straße mitten durch ein Naturschutzgebiet zu verhindern.«
»Und Ihr gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr?«
Kahn lachte laut. »Wir haben an mehreren Straßen Plakate aufgehängt, auf denen wir vor dem Neubau der Autobahn warnten. Harmlose Texte. Die Vertreter des großen Autoclubs fühlten sich gestört und erstatteten Anzeige. Ablenkung der Autofahrer durch unsere Parolen.«
»Das war alles?«
»Mein Gott, wissen Sie nicht mehr, wie hektisch die 80er-Jahre zeitweise waren? Die haben doch nur einen Vorwand gesucht, um unruhige Leute vor Gericht zu bringen.«
»Und heute Nacht waren Sie wieder tätig«, erklärte Braig.
»Jetzt sehen Sie in mir den Entführer?« Kahn schüttelte den Kopf, fuhr sich mit kräftigen Bewegungen durch die Haare.
»Wo waren Sie?«
»Unterwegs.«
»Das wissen wir.«
»Sie verdächtigen mich ernsthaft? Ich habe mit der Sache nichts zu tun.«
»Dann benötige ich Ihr Alibi für heute Nacht.«
»Meine Frau kann es Ihnen geben.«
»Immer Ihre Frau. Dass die Sie entlastet, ist wohl klar.«
»Rufen Sie sie an, hier ist die Nummer.«
Kahn holte das Telefon aus der Diele, hielt Braig den Hörer hin.
»Sie arbeitet?«
»In Stuttgart. Ich wähle, wenn das erlaubt ist.«
Sie war sofort am Apparat.
»Braig, vom LKA. Frau Kahn, ich habe eine wichtige Frage.«
»Sie schon wieder«, sagte die Frau.
Im Hintergrund schepperten Teller und Tassen.
»Wo war Ihr Mann heute Nacht ab etwa 20.30 Uhr?«
»Heute Nacht?«
Das Scheppern verstärkte sich, wurde von lautem Topfgeklapper ergänzt. Die Geräusche ließen auf eine Kantine schließen. Plötzlich war Ruhe.
»Heute Nacht?«, wiederholte Frau Kahn. Sie lachte lauthals. »Sie sind doch wirklich ein lustiger Polizist«, trällerte sie, »einer von der besonders begabten Truppe. Wir sollten die Presse einschalten und alle live mithören lassen.«
»Frau Kahn, es gibt keinen Grund, sich lustig zu machen«, erwiderte Braig erbost.
»Oh doch!«, rief sie. »Hat er Ihnen nicht selbst erzählt, wo er war?«
»Ich möchte von Ihnen hören, wo Ihr Mann sich aufgehalten hat. Ihr Mann steht im Verdacht ...«
»Ach, reden Sie doch nicht so einen Quatsch«, fuhr sie ihm mit kräftiger Stimme dazwischen, und dann hörte er
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