Schwaben-Rache
Ziegenfuß betrifft: Der Mann wurde zusammen mit seinem Sohn von einem rücksichtslosen Raser angefahren, sein Kind dabei schwer verletzt. Sie sollten sich in seinen Zustand versetzen, dann könnten Sie seine Worte besser verstehen.«
Neundorf nickte nur, verzichtete auf eine Antwort.
»Und was sein Verhältnis zu Herrn Schmidt angeht: Herr Ziegenfuß war, so berichtete man mir, vor wenigen Jahren gezwungen, seinen Beruf als selbständiger Landwirt aufzugeben. Von Schmidts schönen Worten angelockt, arbeitete er zunächst in dessen Betrieb. Wie es dort zugeht, kann Ihnen Herr Kahn erzählen. Wenn Ihnen ein Rest Selbstachtung bleibt, werden Sie es dort nicht lange aushalten. Willkür, Kriecherei und Schleimerei sind nicht jedermanns Sache, zum Glück nicht.«
»Ich verstehe«, meinte Neundorf. »Hat Herr Ziegenfuß reagiert?«
»Er hat am Anfang wohl alles geschluckt. Aber das führt nur zur Ansammlung von Aggressionen. Um den drohenden Ausbruch zu vermeiden, hat er gekündigt und wurde arbeitslos. Ohne Arbeitslosengeld natürlich, denn er hatte ja aus eigenem Verschulden seinen Job verloren.«
»Hat er wieder Arbeit gefunden?«
»Monate später, in Stuttgart. Er pendelt mit der Bahn. Der Hass steckt noch in ihm. Eine typisch menschliche Entwicklung. Niemand von uns kann sich dieser Erfahrung entziehen.«
»Sie sind sehr verständnisvoll.«
»Mein Beruf«, erklärte Vera Sommer lächelnd, »manchmal muss ich mich dazu zwingen, meine allzu menschlichen Gefühle unter Kontrolle zu halten, um meinem Beruf wenigstens in Ansätzen gerecht zu werden.«
»Also doch!«
Die Frauen lachten, nickten sich freundlich zu. Braig spürte instinktiv, dass die beiden sich gut verstanden.
»Aber irgendwo hier oder in der Umgebung gibt es Leute, die für das, was auf den Straßen läuft, kein Verständnis aufbringen«, sagte Neundorf.
»Sie jagen immer noch Ihre grünen Terroristen?«
»Ich denke, wir sind uns darin einig, dass diese Wortwahl primitivster Boulevard-Stil ist.«
Steffen Braig fühlte sich wie ein ertappter Schuljunge. Niemand brauchte es zu erwähnen: Er war hier so überflüssig wie der Lärm, der von der Bundesstraße ab und an in den Raum brandete.
»Vielleicht können Sie unsere Vorgehensweise besser verstehen, wenn Sie das Schreiben der Entführer lesen.« Neundorf kramte in ihrem Rucksack, um dann zwei Blätter daraus hervorzuholen, die sie der Pfarrerin reichte.
»Die Leute meinen es ernst«, bestätigte Frau Sommer, nachdem sie die Zeilen gelesen hatte, »es wirft ein anderes Licht auf die Entführer.« Sie betonte das letzte Wort. »Aber Sie verfolgen diese Leute immer noch?«
Neundorf lachte gequält. »Ich denke, wir sind einer Meinung. Nur unsere Berufe trennen uns.«
»Wie schaffen Sie es, Ihren Job auszuüben?«
»Ich wollte die Männerwelt der Polizei aufbrechen. Fragen Sie nicht, was ich erreicht habe.«
»Immerhin einer der wenigen akzeptablen Vorsätze. Die Strukturen in der Kirche sind kaum weniger verhärtet. Obwohl ich garantiert das einfachere Los von uns beiden gezogen habe.«
»Glauben Sie?«
Vera Sommer schaute nachdenklich in die Ferne. »Ich darf die von Ihnen verfolgten Entführer in Schutz nehmen, sogar offen Partei für sie ergreifen.«
»Warum auch nicht? Diese persönliche Entscheidung behalte ich mir ebenfalls vor.«
»Aber dennoch jagen Sie sie.«
»Wenn wir es nicht tun, wird bald das halbe Land damit beschäftigt sein. Die Bonzen in ihren heiligen Gefilden fühlen sich bedroht von einer neuen, unbekannten Gefahr.«
»Hauptsache, Schmidt, Bofinger und Konsorten haben auch in Zukunft freie Bahn. Unsere Polizei jagt harmlose Leute, damit die Drahtzieher des Wahnsinns nicht behindert werden in ihrem skrupellosen Spiel.«
»Können Sie handfeste Argumente liefern?«
Frau Sommer holte tief Luft. »Der eine betoniert unsere Landschaft zu, um möglichst hohe Gewinne in seine private Tasche zu schieben, der andere sorgt im Gemeinderat für die politischen Beschlüsse, die die Betonorgien finanzieren. Beide sind Mitglieder derselben Partei. Eine Hand wäscht die andere. Aber Lobbyismus und Bananenwirtschaft sind in Afrika und bei uns nicht strafbar.«
28. Kapitel
Ziegenfuß war spurlos verschwunden, so sehr sich Neundorf und Braig nach ihrem Besuch bei Frau Sommer auch bemühten, ihn aufzutreiben. An seinem Arbeitsplatz war er nicht erschienen, hatte kurzfristig für die restliche Woche Urlaub genommen, wie ihnen der Abteilungsleiter am Telefon erklärt
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