Schwaben-Wut
Wir mussten in Anbetracht der Tatsache handeln, dass Sie die einzige männliche Bezugsperson für Andreas Stecher waren.«
»Das ist längst vorbei. Aus und vorbei. Ich habe keinerlei Verbindung mehr zu diesem Kerl. Der war durch und durch verkorkst. Kein Wunder, dass er im Knast landete.«
Michael Eiding war knapp über Fünfzig, ein kleiner, bulliger Mann mit breiten Schultern und kräftiger Muskulatur, die sein knappes T-Shirt anschaulich zum Vorschein kommen ließ. Er hatte seine Frau und die beiden Kinder aus dem Zimmer geschickt, stand vor dem breiten Wohnzimmerfenster, brüllte sich seine Aggressionen aus dem Leib.
Neundorf betrachtete das Panorama Heilbronns, das mitsamt den Vororten und dem entlang des Neckars gelegenen Industriebezirk deutlich zu erkennen war. Eiding musste über ein beträchtliches Einkommen verfügen, denn diese Wohnlage war kaum zu bezahlen. Sie fragte sich, wie der Mann als einfacher Angestellter eines großen Nahrungsmittelkonzerns dergleichen finanzieren konnte.
»Wie viel Verantwortung tragen Sie an der Entwicklung Ihres, ich darf wohl sagen, Stiefsohns?«
Eidings Gesicht lief wieder dunkelrot an. »Hören Sie, ich will mit diesem Balg nicht länger in Verbindung gebracht werden. Das war, ich gebe es zu, eine schlimme Zeit und eine völlig idiotische Entscheidung, die ich damals getroffen habe. Bitte ersparen Sie es mir, auf diese Periode meines Lebens einzugehen.«
Er wies auf das zu einem Hufeisen geformte mächtige Sofa, das auf das breite Panoramafenster ausgerichtet am anderen Ende des Zimmers stand. Neundorf und Beck nahmen nebeneinander Platz, Eiding setzte sich ihnen gegenüber.
»Sie haben also keine Verbindung mehr zu Andreas Stecher?«
Neundorf fixierte den Mann, verfolgte genau seine Reaktion.
»Verdammt nochmal, glauben Sie mir doch endlich: Nein! Nicht für hundert Millionen. Der Kerl käme mir nie ins Haus!« Eiding ruderte mit beiden Armen durch die Luft, um seine Worte zu unterstützen.
»Das haben wir auch nicht behauptet. Aber es gibt genügend andere Möglichkeiten, jemandem zu helfen, zu dem man offiziell keine Verbindungen mehr hat. Zum Beispiel, indem man ihn übers Wochenende in ein sicheres Versteck bringt.«
Eiding sprang erbost vom Sofa auf. »Sie wollen doch nicht ...« Er lief um den schmalen Glastisch, baute sich breitbeinig vor den Kommissaren auf.
»Wo waren Sie von Freitag bis heute abend?«, fragte Neundorf mit kalter Stimme. Der Mann war ihr unsympathisch. Sein theatralisches Gehabe schien ihr zu unnatürlich, gekünstelt, bewusst überdreht, so als hätte er sich auf seinen Auftritt vorbereitet.
»Ich weiß nichts von dem Kerl. Es ist mindestens drei Jahre her, als ich ihn zum letzten Mal sah. Wahrscheinlich würde ich ihn heute überhaupt nicht mehr erkennen.«
»Geben Sie mir bitte Antwort auf meine Frage: Wo waren Sie seit Freitag?«
Michael Eiding fauchte und prustete wie ein Walross. »Sie geben keine Ruhe, wie?«
Neundorf schüttelte den Kopf.
»Im Trainingslager«, seufzte er, lief zu seinem Platz zurück, setzte sich.
»Geht es etwas genauer?«
»Mein Sohn trainiert jedes Wochenende.«
»Ihr Sohn?«
»Ja, also genauer: Marinas Sohn. Ich habe ihn adoptiert, wenn Sie es wissen wollen. Er soll Rennfahrer werden.«
Neundorf schaute Eiding an, Skepsis im Blick. Sie hatte seine Frau und die Kinder gesehen. Beide waren klein, viel zu jung für das, was er erzählte, eines vielleicht ein Jahr, das andere höchstens acht, neun Jahre alt. »Wie alt ist er denn?«
»Acht«, erklärte der Mann, »wir trainieren auf der Go-Cart-Bahn, jedes Wochenende.«
»Mit acht Jahren?« Ihr Blick wurde so aggressiv, dass der Mann wie zum Schutz seine Arme hob.
»Wenn er später eine Chance haben will, müssen wir früh anfangen.«
»Mit acht Jahren?« Ihre Stimmlage verriet deutlich, was sie vom Vorhaben des Mannes hielt. »Wo trainieren Sie?«
»Bei Obersulm in einer speziellen Halle.«
»Wie lange?«
»Morgens drei Stunden und mittags fünf. Samstag und Sonntag.«
»Acht Stunden jeden Tag?«
Eiding nickte. »Es geht nur am Wochenende. Unter der Woche habe ich kaum Zeit. Höchstens mal abends nach dem Geschäft. Wir müssen uns ranhalten, damit der Junge es schafft.«
Mit acht Jahren, überlegte Neundorf. Was ist das für eine Kindheit? »Dem Jungen macht es Spaß?«
Eidings Augen leuchteten. »Und wie! Er freut sich die ganze Woche darauf.«
Neundorf griff sich mit der Hand an ihren Nacken, massierte ihn. »Sie sind immer
Weitere Kostenlose Bücher