Schwaben-Wut
der Zwischenzeit war, nicht nur was sein Alter betraf, unübersehbar. Tief nach unten gezogene Mundwinkel verliehen seinem Gesicht einen bitteren, trotzigen Ausdruck. Diese Entwicklung verstärkte sich noch: Wieder etwas später, eine noch härtere, verbiestertere Miene.
Die übrigen Fotos wiesen eindeutig auf ein verbrecherisches Umfeld. Ein fast kahl geschorener junger Mann, nicht allzu kräftig, mittelgroß, im dunklen Muskel-T-Shirt vor einem wuchtigen Sandstein-Gebäude; dann in einer Gruppe etwa zwanzigjähriger Männer: der Blick verbissen, aggressiv, fast verächtlich, scheinbar ohne Interesse für den Fotografen.
»Was meinst du?«, fragte Beck. »Die blonde Perücke dazu?«
»Er könnte es sein. Sieht ihm verblüffend ähnlich.«
Braig betrachtete das Profil des Gefängnisinsassen, verglich es mit dem Mann auf dem Fahndungsbild. Die Nase stimmte nicht ganz, aber das konnte am Blickwinkel liegen, außerdem war das Fahndungsplakat eine Computersimulation und kein Foto.
»Vielleicht hilft eine Feinabstimmung auf dem Monitor«, meinte Braig, »ob Schiek noch im Haus ist?« Er wählte die Nummer des Grafikers. Daniel Schiek nahm auf der Stelle ab.
»Zwanzig nach sechs am Sonntagabend«, schallte es Braig entgegen, aber das hörte er nicht zum ersten Mal. Er schilderte trotzdem sein Anliegen, ließ Schiek keine Ruhe, überredete den Kollegen.
»Okay, dann aber sofort!«
Braig legte den Hörer auf, schnappte sich die Fotos Stechers, dazu das Fahndungsbild. »Gehst du mit?«
Beck nickte. »Ich muss nur Katrin schnell Bescheid sagen. Die sitzt garantiert schon auf Kohlen.«
Zehn Minuten später hatte Schiek das jüngste Foto Stechers eingescannt und mit einer blonden Perücke mit halblangen Haaren versehen. Braig, Beck und Neundorf standen neben ihm, betrachteten den Monitor mit kritischen Blicken.
»Nur die Nase ist anders«, meinte Schiek, »die übrigen Abweichungen sind zu vernachlässigen.«
»Wie beurteilst du die verschiedenartigen Nasenpartien? Ist es ein anderer Mann oder haben die Zeugen Stecher nicht korrekt genug beobachtet oder beschrieben?«
Schiek überlegte nicht lange, war sich seines Urteils sicher. »Eindeutig das Letztere. Vergiss nicht, es war schon dunkel, als sie den Typ sahen. Aus einigen Metern Entfernung. Mitten in einer Menschenmenge. Mit einer Sonnenbrille auf der Nase. Das verzerrt sowieso. Angesichts dieser Umstände haben sie ihn verblüffend gut beschrieben, falls es sich um Stecher handelt.«
»Gut. Dann bitte ich dich, das Bild auszudrucken. Ich muss sofort wieder nach Backnang und es den drei Augenzeugen vorlegen. Ich will absolut sichergehen, dass wir alle hinter demselben Typ her sind.«
Sie warteten, starrten auf den Drucker, aus dem sich langsam das erste Bild herausschob. Die Unterschiede zum ersten Fahndungsfoto waren kaum zu erkennen.
»Wisst ihr, was das bedeutet?«, fragte Neundorf.
»Die Zeitungsfritzen und Schmuddelsender drehen durch, wenn sie es erfahren«, erklärte Beck.
»Nicht nur die. Das bedeutet high life und Medienkrieg. Und Arbeit Tag und Nacht. Der Kerl vergewaltigt und foltert ein junges Mädchen, fast noch ein Kind, ermordet sie, hockt nicht einmal drei Jahre im Bau, entkommt und begeht einen Tag später seinen nächsten Mord. Oh, mein Gott, ich sehe jetzt schon die Schlagzeilen vor mir. Unsere unfähige Polizei lässt Killer entkommen. Und: Wen schlachtet das junge Monster als nächstes ab?«
Braig nickte, verstand seine Besorgnis. »Wobei zwei Dinge noch völlig offen sind: Wir wissen nicht, ob er wirklich in Backnang war und haben auch keinerlei Beweise dafür, dass der blonde junge Mann mit dem Mord an Greiling überhaupt zu tun hat.«
»Gut. Aber das interessiert die Medien nicht. Denen passen die Zusammenhänge, die wir im Moment nur vermuten, voll in den Kram. Ein jugendliches Monster, aus dem Knast entkommen, ermordet jetzt jeden, der ihm zufällig über den Weg läuft. Das ist es doch. Oder: Der junge Killer, der jetzt mit seinen Feinden abrechnet. Darauf haben die seit Jahren gewartet. Das steigert die Auflagen. Das Dumme dabei ist nur: Ein Stück weit haben sie Recht. Der Kerl scheint wirklich von allen guten Geistern verlassen zu sein, nach dem zu urteilen, was in den Gerichtsakten steht. Hast du die Protokolle über sein Verbrechen gelesen?«
Braig schüttelte den Kopf.
»Dann solltest du es schnellstens nachholen«, empfahl ihm Neundorf. »Damit du weißt, hinter wem du jetzt her bist.« Sie wartete, bis sich das zweite
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