Schwaben-Wut
aus den Achseln. Er keuchte, biss auf die Zähne, stellte dann das schwere Gerät ab. Es war sinnlos, sich so zu verausgaben, er musste es langsamer angehen, die Temperaturen waren heute zu hoch.
Bartle nahm den kleinen Eimer, der am Rand der Rebzeile lag, tauchte ihn ins Wasserfass, ließ die kostbare Flüssigkeit sorgsam abtropfen, lief dann zu den einzelnen Rebstöcken und nässte sie ein. Der Inhalt eines Eimers reichte für acht Pflanzen, was etwa der Menge entsprach, mit der er auszukommen gewohnt war. Er tauchte den Behälter wieder und wieder ins Fass, goss die Rebstöcke, schob den Schubkarren dann weiter den Berg hoch.
Der Mann oberhalb des Weinbergs war im nahen Wald verschwunden.
Bartle verrichtete seine Arbeit, freute sich auf den Moment, wo er das Fass bis auf den letzten Tropfen geleert hätte, sich auf den Boden werfen und den Himmel und die Umgebung betrachten würde wie jeden Tag. Er goss die Pflanzen sorgsam, Stück für Stück, watete durch die staubtrockene Erde, sprang zur Seite, als eine kleine, dunkle Schlange vor seinen Schritten flüchtete.
Die Tiere seien nicht giftig, hatte Klaus Heitorf ihm berichtet, bei einem Biss allerdings solle er die Wunde umgehend desinfizieren, um sich vor einer schmerzhaften Entzündung zu schützen. Er wusste, dass Heitorf zu Recht so sprach: Ganz am Anfang, vor sieben oder acht Jahren, war er auf eines der oft im Staub des Weinbergs verborgenen Biester getreten und gebissen worden, was infolge unterlassener medizinischer Behandlung wochenlang Beschwerden nach sich gezogen hatte.
Bartle versuchte, angesichts dieser Erfahrungen seines Vorgesetzten, Schlangen auszuweichen, soweit es ihm möglich war. Er versorgte den ganzen Weinberg mit Wasser, füllte und leerte das Fass immer wieder, ließ den Schubkarren dann stehen.
Von der höchsten Stelle des Berges war die Umgebung besonders gut zu erkennen. Sanft geschwungene Hügelketten, viele über und über mit Weinstöcken bepflanzt, erstreckten sich kilometerweit bis zur hoch aufragenden Gebirgsmauer der Pyrenäen, die den Horizont begrenzte. Einzelne landwirtschaftliche Gehöfte verbargen sich in den Senken, Felder und mit dichtem Gestrüpp überzogene Wiesen schmiegten sich den Hügeln an. Die einzigen Geräusche, die zu ihm heraufdrangen, waren die sehnsüchtigen Rufe einzelner Schafe und Ziegen, die irgendwo in der Umgebung weideten.
Bartle drehte den Kopf zur Seite, sah in der Ferne die Silhouette Carcassonnes in die Höhe ragen. Das wuchtige Bollwerk der Festungsstadt zeichnete sich deutlich vor der hitzeflimmernden Dunstglocke seiner Umgebung ab. Stadtmauer und unzählige von spitzwinkligen Giebeln gekrönte Türme ließen ein Bild des fernen Mittelalters erahnen.
Bartle freute sich auf den Besuch der im 19. Jahrhundert auf Initiative eines deutschen Mäzens vollständig wiederhergestellten Stadt, den ihm Heitorf für die nächsten Tage versprochen hatte. Zweimal schon waren sie in den vergangenen Monaten, seit er hier lebte, in Carcassonne gewesen: Sein Vorgesetzter, dessen französische Lebensgefährtin und er.
Monique hatte ihm die schmalen Gassen der Altstadt gezeigt, die verwinkelten Straßenzüge, wuchtigen Wehrtürme, schroffen Abstürze vor der Stadtmauer. Straßenmusiker, alte Handwerker, spielende Kinder – die ganze Stadt schien ein einziges Relikt einer längst vergangenen Epoche.
In der mächtigen Kirche hatten sie den schwermütigen Dissonanzen einer hoch aufragenden Orgel gelauscht – Monate vorher noch unvorstellbar, dass er seine Zeit je so verbringen könne – dann auf einem der lauschigen Plätze am Tisch eines nahen Restaurants opulent gespeist.
Benjamin Bartle war so in die Erinnerung an den Besuch der in der Ferne emporragenden Stadt versunken, dass er die Person nicht bemerkte, die auf Zehenspitzen aus dem nahen Wald auf ihn zu schlich. Jetzt trug der Fremde kein Fernglas, statt dessen hatte er eine kleine unscheinbare Pistole in der Hand, dazu einen kurzstieligen Hammer, der kaum sichtbar aus der Hosentasche ragte. Als Bartle die drohende Gefahr endlich wahrnahm, war es bereits zu spät: An seinem Lieblingsort, dem oberen Ende des Weinbergs, dort wo er die gesamte Umgebung zu seinen Füßen liegen sah, traf ihn der tödliche Schuss.
11. Kapitel
Montag, der 26. Juni, wurde für Katrin Neundorf zu einem jener Tage, die ihr lange Zeit in Erinnerung bleiben sollten – privat wie beruflich.
Vor lauter Ärger über ihr Unvermögen, dem entflohenen Stecher auch nur ein Stück
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