Schwaben-Wut
schüttelte energisch den Kopf. »Das ist falsch.«
»So steht es in den Akten«, beharrte Neundorf.
»Dann wurde schlampig recherchiert. Das ist dummes Gewäsch gewisser Medien. Benjamin schwor, dass er ihn nicht verpfiffen hat. Das war ihm sehr wichtig. Kameradschaft stand hoch in seiner Werteskala. Wenn er so etwas überhaupt kannte.«
»Ich dachte, er sprach nicht viel über seine Vergangenheit?«
»Nicht viel, nein. Aber auf diesen Sachverhalt legte er Wert. Er hat Stecher nicht verraten. Ich glaube ihm. Das war ehrlich, so gut kenne ich ihn.«
Heitorf stand auf, schenkte Neundorf Wasser nach. Sie bedankte sich.
»Aber Stecher war davon überzeugt, dass Bartle der Verräter war.«
»Das entzieht sich meiner Kenntnis. Benjamin stellte es so dar, dass die Polizei durch Hinweise des zweiten Mädchens, mit dem sie in der Mordnacht unterwegs waren, auf Stecher aufmerksam wurde. Er habe vor ihnen damit geprahlt, dass er derjenige sei, der wenige Monate zuvor seine Lehrerin samt Klasse als Geisel genommen und sich somit als großer Held erwiesen habe. Als die Beamten diesem Hinweis nachgingen, stießen sie automatisch auf Stecher. Er wurde verhört und verwickelte sich in Widersprüche.«
»Was wusste Bartle von dem Verbrechen im Schlossgarten? Was bekam er davon mit?«
Heitorf setzte sich wieder, legte seine langen Beine übereinander. »Alles«, sagte er, »Benjamin war voll dabei.«
»Wie bitte?« Neundorf richtete sich überrascht auf. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Benjamin war wirklich nicht gesprächig. Er hatte sein ganzes Leben keine einzige Person, der er sich öffnen, der er sich anvertrauen konnte. Mir kam er vor wie ein Vulkan kurz vor einer gewaltigen Eruption. Einmal, auf der Rückfahrt von Carcassonne, wir waren den ganzen Tag dort, zu dritt«, Klaus Heitorf zeigte auf seine Partnerin, »es hatte ihm wohl besonders gefallen, die Atmosphäre und das Miteinander, die Gemeinsamkeit – wann hatte er das früher schon erlebt? Die Mutter ständig besoffen, der Alte dauernd bei anderen Weibern. Auf jeden Fall, er packte aus. Zehn Minuten vielleicht nur, aber immerhin. Wie ein Vulkan, bei dem sich überraschend der Pfropfen löst. Er war mit dabei. Inwieweit, kann ich nicht sagen. Er erzählte nur, dass er alles mitbekommen habe, sie waren beide verrückt, außer sich. Stecher war wohl der Haupttäter, aber er war dabei.«
Neundorf betrachtete den Mann ungläubig. »In den Akten steht nichts von einer zweiten Person. Die Spurensicherer hätten seine Spuren doch nicht übersehen.«
»Vielleicht war er nicht an der Ausführung der Tat selbst beteiligt, wohl aber in der Nähe. Wahrscheinlich machte er sich Vorwürfe, dass er das Mädchen hätte retten können, wenn er eingegriffen hätte. Ich weiß es nicht.«
»Dann wurde sein Verhalten vor Gericht wohl nicht ganz korrekt erkannt. Und Stecher fühlte sich zu Unrecht als alleiniger Täter gebrandmarkt. Deshalb sein Hass auf Bartle.«
Heitorf schwieg einen Moment, trank von seinem Wasser. »Ich weiß es nicht. Darüber hat er sich nicht geäußert. Benjamin legte nur Wert auf die Feststellung, dass Stecher nicht das Monster sei, als das er von den Medien dargestellt wurde. Andreas ist nicht böse, sagte er mir einmal, der kann nichts dafür.«
Neundorf schüttelte empört den Kopf, schimpfte laut. »Das soll wohl ein Witz sein, wie? Wer hat das Mädchen denn vergewaltigt, gefoltert und ermordet? Ein unsichtbarer böser Geist, ja?«
Klaus Heitorf blieb ruhig. »Ich kann Ihnen nur berichten, wie Benjamin es sah. Und er kannte diesen Stecher wohl ziemlich gut.«
17. Kapitel
Monika Stecher hatte sich bereit erklärt, Braig am Dienstag um 16 Uhr in ihrer Wohnung in Waiblingen zu empfangen. Sie arbeitete in der Nachtschicht der Briefsortieranlage der Post direkt am Waiblinger Bahnhof, wohnte keine hundert Meter, nur durch die Gleise getrennt, von ihrer Arbeitsstelle entfernt. Bernhard Söhnle, der ihn begleiten sollte, litt unter so starken Schmerzen, dass er sofort nach Hause musste. Braig wünschte ihm gute Besserung, machte sich allein auf den Weg.
Er sah die Kollegen sofort, als er aus der Bahnsteigunterführung auf die Straße trat. Sie saßen in einem hellroten Zivilfahrzeug, hatten den Eingang zum Wohnhaus Frau Stechers deutlich im Blick. Neundorf hatte die Observation der Mutter und ihrer Wohnung sofort beantragt, als die Flucht des Sohnes bekannt geworden war, bisher erfolglos, obwohl auch das Telefon abgehört wurde. Sollte der junge
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