Schwaben-Wut
eigene Mutter, an seine eigene Situation als Heranwachsender. Kaum ein Tag, kaum ein Abend, an dem sie daheim gewesen war, immer nur unterwegs, Geld zu verdienen für die Familie. Ein Vater, der mithalf, existierte nicht, also mühte sie sich alleine ab, wollte nur das Beste für ihre Kinder. Zu seinem Glück hatte seine ältere Schwester zeitweise die Mutterrolle für ihn übernommen.
»Sie können sich das nicht vorstellen, was es bedeutet, ein Kind allein großzuziehen, ohne Hilfe von irgendeiner Seite.«
Braig schwieg, er konnte, wollte aber die Frau nicht aus dem Konzept bringen.
»Es ist ein ständiger Kampf. Einerseits bemühen Sie sich, möglichst viel bei dem Kind zu sein. Andererseits müssen Sie Geld verdienen um zu leben.«
»Hat der Vater Ihres Sohnes nicht genug gezahlt?«
Monika Stecher saß stocksteif auf dem Sofa, bewegte sich nicht. »Ich hatte mir geschworen, den feinen Herrn nicht anzubetteln, wenn er schon nicht von selbst auf die Idee kam, seinen Teil dazu beizutragen.«
»Heißt das etwa, er hat nichts gezahlt?«
Sie nickte kurz mit dem Kopf.
»Aber wieso? Alimente sind gesetzlich vorgeschrieben. Bis die Ausbildung des Kindes beendet ist. Und wenn er sich weigert – Genanalysen ermöglichen heute eindeutig, den Vater festzustellen. Da bleibt ihm keine Chance, sich zu drücken.«
»Das ist nicht nötig. Ich will mir das Geld nicht vor Gericht erstreiten. Wenn er so wenig Verantwortung spürt, sich um seinen Sohn zu kümmern, schaffe ich es allein. Mir ekelt davor, von jemand abhängig zu sein. Und sei es der Vater meines einzigen Kindes.«
»Sie sind sehr stolz.«
»Mag sein, ja. Aber ich bin immer gut gefahren damit. Bis Andreas in den Sog dieses Wahnsinns kam. Das ist der einzige Vorwurf, den ich mir mache: Dass ich diese Entwicklung nicht verhindern konnte.«
»Sie wissen, mit wem er noch abrechnen will?«
Monika Stechers Blick wurde hart. Sie sah ihm voll in die Augen, schüttelte den Kopf. »Es gibt niemand, mit dem Andreas abrechnen«, sie betonte das Wort mit eisiger Stimme, »will. Er hat keinen Grund. Wozu?«
»Genau das wüssten wir gern. Um ihm und den Opfern vieles zu ersparen.«
»Ich sagte Ihnen doch: Ich besuchte ihn jede Woche. Ich weiß, wie es ihm geht. Er ist auf dem Weg der Besserung. Er bereut, leidet schwer unter dem, was er getan hat. Es ist nicht einfach, ein Mörder zu sein.«
Braig hatte Mühe, ruhig zu bleiben. Die Phantasie der Frau war kaum mehr zu ertragen. Sie war seine Mutter, gut. Aber irgendwann stieß auch er an die Grenzen des Erträglichen.
»Kannten Sie Hans Greiling?«, fragte er. »Oder wissen Sie, in welcher Beziehung Ihr Sohn zu dem Mann stand?« Er zog ein Foto des Toten aus seiner Tasche, hielt es der Frau vors Gesicht.
Monika Stecher reagierte irritiert. Sie verlor für einen Moment ihre Selbstsicherheit, schaute mit unruhigen Augen zur Seite, schenkte dem Bild nicht einen einzigen Blick.
Sie will es nicht wahrhaben, überlegte Braig, sie will sich das Opfer ihres Sohnes nicht ansehen, um ihr Gewissen nicht weiter zu belasten.
Monika Stecher schlug nervös ihre Beine übereinander, schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie kurz.
»Ihr Sohn, Andreas. Er muss doch einen Grund gehabt haben ...« Braig hielt mitten im Satz inne. Nur die Frau nicht unnötig reizen, sonst blockt sie total! »Der Zusammenhang, – verstehen Sie, – warum Hans Greiling?«
»Lassen Sie Andreas aus dem Spiel«, erwiderte Monika Stecher, »was weiß ich, wer diesen Mann getötet hat.«
Braig schüttelte den Kopf, seufzte laut auf. »Helfen Sie mir doch, bitte. Wir wollen nur verhindern, dass es weitere Opfer gibt.«
»Ich kann Ihnen nicht helfen. Sie suchen am falschen Ort.«
Sie war an keinem Punkt zur Mitarbeit bereit. Braig versuchte, die Frau zu verstehen. So viel Selbstbewusstsein sie nach außen hin auch ausstrahlte, es musste sie zutiefst getroffen haben, zu erfahren, was ihr Sohn alles verbrochen hatte. Ihr einziges Kind ein mehrfacher Mörder – welche Mutter, welcher Vater wollte behaupten, davon unbeeinflusst zu bleiben?
»Sie haben lange in Backnang gewohnt«, sagte Braig, der die Biografie der Frau gründlich studiert hatte, »aber Sie erinnern sich dennoch an keine Verbindung zu diesem Herrn Greiling?«
Die Antwort kam schnell.
»Nein«, erklärte sie, schüttelte trotzig den Kopf.
»Ihr Sohn hat keine Kontakte mehr in die Stadt? Immerhin war er schon 17, wenn ich richtig informiert bin, als Sie dort wegzogen.«
Monika Stecher
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