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Schwaben-Wut

Schwaben-Wut

Titel: Schwaben-Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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gezeigt. Angehörigen wurde wochenlang vor der Wohnung, der Arbeitsstelle oder ihrem voller Verzweiflung aufgesuchten Zufluchtsort nachgestellt und so ohne jeden Skrupel zu aufsehenerregenden Interviews gezwungen. Erst recht angewandt wurde diese Praxis bei Straftätern und deren Familienmitgliedern, auch wenn sie längst nicht überführt waren, sondern nur im Verdacht eines Verbrechens standen.
    Braig fragte sich oft genug, was eigentlich schlimmer war: Einen Menschen zu überfallen und ihn zu berauben oder ihn, schwerverwundet und hilflos in seinem Blut liegend, Millionen von neugierigen Voyeuren via Bildschirm zu präsentieren. Er ekelte sich vor dem Verhalten dieser Journaille, war oft genug nahe daran, die Beherrschung zu verlieren und die aufdringlichsten Gestalten gewaltsam vom Tatort zu vertreiben. Zugleich machte er sich keine Illusionen darüber, dass die Entwicklung innerhalb der Gesellschaft genau in diese Richtung tendierte. Immer mehr Rücksichtslosigkeit, immer aggressiveres Jagen nach Sensationen, dem schnellen Erfolg, dem großen Geld. Er wollte gar nicht genauer wissen, wie übel Frau Stecher von Vertretern dieser Zunft mitgespielt worden war.
    »Deswegen haben Sie also Ihren Beruf aufgegeben?« konstatierte er.
    »Ich bin Krankenschwester mit Leib und Seele«, sagte sie, »aber die hätten mich bis an den Nordpol verfolgt.«
    »Und jetzt?«
    Nach der Flucht ihres Sohnes, wollte er fragen, wagte aber nicht, es so deutlich zu formulieren.
    »Zum Glück sind Ihre Kollegen vor dem Haus«, erklärte sie mit harter Stimme, »ich habe sie gebeten, mir die schlimmsten Hyänen vom Hals zu halten.« Sie schwieg einen Moment, stand dann abrupt auf, ging zum Fenster. »Sonst hätte ich längst die Flucht ergriffen. Es ist nicht zum Aushalten. Ich warte nur noch darauf, wann ich meinen Job verliere. Die Post drüben ist regelrecht umstellt, den Kolleginnen wird jeder Satz, den ich irgendwann einmal geäußert haben soll, mit 50-Mark-Scheinen versilbert. Ich arbeite mit der Mutter des Killers zusammen. Ob ich Angst habe? Na klar, aber bis jetzt hat sie mich noch nicht ermordet.«
    »Ich kann mich um Polizeischutz für Sie kümmern«, bot Braig an.
    Monika Stecher lachte bitter. »Vielen Dank. Aber ich fürchte, der ist nicht mehr nötig. Mein Chef hat mir bereits deutlich angetragen, dass ich unbezahlten Urlaub nehmen soll. Man würde mir selbstverständlich entgegenkommen. Ich habe abgelehnt. So einfach werden die mich nicht los. Obwohl der Job so unterbezahlt ist, dass es zum Himmel schreit. Nicht mal die Hälfte meiner Stelle im Krankenhaus. Aber was soll man auch mit einer, die einem Monster zur Freiheit half und es jetzt unterstützt, einen Mord nach dem anderen zu begehen.« Sie schwieg erschöpft, ging zum Sofa zurück, schenkte sich Kaffee nach.
    Braig nippte an seiner Tasse, wartete, bis die Frau Platz genommen hatte. »Sie haben überhaupt keine Vorstellung, wo Ihr Sohn sich aufhalten könnte?«, fragte er mit ruhigem, behutsamem Ton.
    Monika Stecher richtete sich auf, fixierte ihn mit ihrem Blick. »Ich habe es allen Ihren Kollegen schon deutlich erklärt«, sie betonte Wort für Wort, sprach langsam, ohne jede Aufregung. »Andreas tut so etwas nicht.«
    Braig schüttelte überrascht den Kopf. »Aber, Frau Stecher, Sie wollen doch nicht ...«
    »Doch«, unterbrach sie ihn, »genau das will ich. Weder die Sache in Backnang noch die in Frankreich – lassen sie Andreas aus dem Spiel.«
    Braig lachte, weil er nicht wusste, wie er reagieren sollte. Mit jeder Antwort hatte er gerechnet, mit dieser nicht. »Frau Stecher, natürlich kann ich verstehen, dass Sie als seine Mutter ...«
    »Ersparen Sie sich Ihr mitleidvolles Gesülze. Andreas – nein. Ich weiß es.« Ihr Blick wich keinen Millimeter von seinen Augen.
    »Woher, wenn ich fragen darf?« Er nahm sie nicht ernst, wusste, dass die Mutter aus ihr sprach.
    »Nicht, weil ich seine Mutter bin«, erklärte sie, »auch wenn Sie sich diese Erklärung jetzt zurechtlegen – ich sehe es Ihnen an. Ich habe ihn besucht, regelmäßig jede Woche, die gesamte Zeit, seit er im Gefängnis war. Weil ich mich mit dafür verantwortlich fühle, dass er zu diesem Wahnsinn verführt wurde. Meine berufliche Anspannung. Zu viele Nächte im Krankenhaus und er allein zu Hause. Obwohl ich mit den Spätschichten erst wieder anfing, als er 16 war. Aber das kam dennoch zu früh, sonst wäre er nicht in diesen Sog geraten.«
    Braig hörte die Worte der Frau, dachte an seine

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