Schwaben-Wut
ließ.
Manon Rinkert nickte, bedankte sich. »Gerne. Ich freue mich schon darauf.« Sie schloss sich den übrigen Gesprächsteilnehmern und Redakteuren der Sendung an, lief auf den Vorplatz, dann den leicht abschüssigen Weg hinunter, auf den Ausgang des Parks zu.
Üppig grüne Bäume und Büsche flankierten das Gelände, einzelne Bänke, von kleinen Laternen romantisch beleuchtet, luden zum Verweilen ein.
Manon Rinkert genoss die anmutige Szenerie. Die Kulisse war so schön, dass sie fast kitschig wirkte. In ihrem Rücken auf einer kleinen Anhöhe das Favoriteschlösschen, vor ihnen, in gerader Linie auf einem Hügel das mächtige Gebäude des Residenzschlosses. Rings um sie herum die dunkle Silhouette des Waldes. Ludwigsburg, überlegte Manon Rinkert, wucherte viel zu wenig mit seinen Pfunden, die Stadt hatte mit ihren barocken Schlössern das Potential, das Licht der Öffentlichkeit viel intensiver auf sich zu ziehen.
Der Schuss fiel mitten in ihre romantischen Gedankengänge. Erschrocken fasste sie sich ans Herz, spürte heftiges Stechen. Totenstille. Sie drehte sich um, sah die übrigen Mitglieder ihrer Gruppe wie erstarrt in die Büsche am Rand der schmalen Lichtung blicken. Schläge waren zu hören, dann hastige Schritte. Irgendwo rannte jemand eilig davon.
Manon Rinkert blickte hinauf in Richtung des hell angestrahlten Schlösschens, sah im Schein des Lichts eine schlanke Gestalt mit blonden Haaren im Wald verschwinden.
»Dort oben«, rief eine aufgeregte Stimme, wenige Meter von ihr entfernt, »ein junger Mann.«
Sie sah, wie ein Mitglied ihrer Gruppe auf den Waldrand zeigte. Im selben Moment peitschte der zweite Schuss durch die Nacht. Menschen kreischten auf, einige warfen sich auf den Boden. Ein Mann fluchte laut, schimpfte, schrie, vielleicht fünfzehn, zwanzig Meter entfernt.
Vorsichtig schielte sie in die Richtung, aus welcher der Lärm drang. Die Silhouette eines Menschen, der sich auf den Boden beugte, etwas untersuchte, dabei lauthals vor sich hinfluchte, war deutlich zu erkennen.
Plötzlich kam Bewegung in die Gruppe.
»Was ist passiert?«, fragte jemand.
Manon Rinkert erkannte die Stimme. Kurt Holoch, ein Pfarrer, der die Gewaltüberflutung der Jugendlichen durch die Medien beklagt hatte.
»Ein Schuss oder eher zwei«, antwortete eine Frau. Irgendeine Professorin, die direkt links neben dem Moderator gesessen und die ganze Zeit mit Fremdworten gespickte unverständliche Phrasen gedroschen hatte.
»Hat jemand eine Lampe?«
Keine Antwort.
Manon Rinkert sah, wie Holoch auf die Gestalt im Schatten zulief. »Was ist geschehen?«, rief er laut.
Absolute Stille. Nur unten in der Senke, genau in der Mitte zwischen den beiden Schlössern, wo eine stark befahrene Straße den Schlosspark zerteilte, das Heulen von Automotoren.
»Bleiben Sie stehen!« befahl ein Mann, direkt neben ihr. »Seien Sie vorsichtig, das ist gefährlich!«
Sie erkannte ihn: Einer dieser hochgradig gestört wirkenden Schauspieler, der in Fernsehfilmen fast immer den Bösewicht spielte und den ganzen Abend den harten coolen Draufgänger, den nichts erschüttern konnte, markiert hatte.
Holoch ließ sich nicht beeindrucken, lief weiter. Drei, vier andere Personen folgten, schlossen zu ihm auf. Atemlos starrte Manon Rinkert ihm nach.
Plötzlich ging alles ganz schnell.
»Was machen Sie da?« hörte sie die Stimme des Pfarrers.
Sie sah, wie die über den Boden gebeugte Gestalt plötzlich in die Höhe schnellte und sich aufrichtete. »Verschwinden Sie!« kreischte die hysterisch wirkende Stimme eines Mannes.
Holoch lief auf ihn zu – drei, vier Personen unmittelbar hinter ihm –, als der Unbekannte plötzlich den Arm ausstreckte und in Richtung der auf ihn zukommenden Leute zielte. Wieder hallte ein Schuss durch die Nacht, Stimmen kreischten, im selben Moment ging jemand zu Boden.
Aufgeregt starrte Manon Rinkert in die Dunkelheit. Geblendet von den Scheinwerfern, die das nahe Favoriteschloss so anmutig in Szene setzten, erkannte sie die Umrisse des Getroffenen: Wieland Backes, der Gastgeber des Abends, war das Opfer.
Manon Rinkert schnappte nach Luft, spürte, wie Übelkeit in ihr aufstieg. Sie suchte sich irgendwo festzuhalten. Niemand kam ihr zu Hilfe. Sie wollte schreien, hatte keine Kraft mehr. Im selben Moment, als sie auf dem Boden aufschlug, wurde es ihr schwarz vor den Augen.
22. Kapitel
Steffen Braig hatte Mühe, den Schock zu verarbeiten. Es sollte wohl ewig so weitergehen, dass jede Begegnung mit
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