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Schwaben-Wut

Schwaben-Wut

Titel: Schwaben-Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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deutete aufs Telefon. »Du weißt die Nummer von den Härles?«, sagte er. »Ruf bitte an.«
    Sie hörte auf zu schreien, schaute ihn mit großen Augen an.
    »Der Rechtsanwalt«, erklärte er.
    Sie verstand, lief zum Telefon.
    »Nichts Rechtsanwalt«, brüllte der Gruppenführer. »Sie sollen sich beeilen.« Er drängte seine Kollegen in die Wohnung, schloss die Tür. »Wir gehen in drei Minuten.«
    Söhnle hörte, wie Mirela Karic am Telefon um Hilfe rief, dann hastig auf jemand einsprach. »Bitte kommen Sie, so schnell Sie können ...«
    Wie es dazu kam, dass die Situation vollends eskalierte, konnte sich Söhnle später nicht mehr erinnern. Er hatte noch die Worte Oliver Karics »Wir gehen nicht aus der Wohnung. Sie haben kein Recht. Wir bleiben alle hier« im Ohr, als sein Vorgesetzter plötzlich wie ein Verrückter zu brüllen begann. Der Mann schien die Nerven und die Kontrolle über sich vollkommen verloren zu haben, zwei seiner Beamten ebenso. Er wies auf die einzelnen Mitglieder der bosnischen Familie, gab den Befehl, alle auf der Stelle in Gewahrsam zu nehmen und in den Polizei-Bus zu verfrachten.
    Überfallartig stürzte er sich auf Oliver Karic, packte ihn an den Haaren, schob ihn zur Tür. Wenige Sekunden später, gemeinsam mit zwei Kollegen, dasselbe mit dem Familienvater. Dann trafen seine Blicke Söhnle und Schäffler, die regungslos in der Ecke standen und dem Geschehen wie versteinert folgten.
    »Los, die Weiber!«
    Söhnle und Schäffler reagierten nicht.
    »Wird's bald?« brüllte der Polizeibeamte.
    Söhnle sah dessen geiferndes Gesicht, empfand nichts als Ekel. Wortlos öffnete er die Tür, drängte sich durch die Menschenmenge im Treppenhaus, lief nach unten. Er sah die Neugier einer alten Frau, die in die Wohnung starrte, hörte ihre Worte hinter sich. »Mein Gott, die machets grad wie beim Hitler.«
    Als er die Haustür unten öffnete, merkte er, dass jemand hinter ihm herkam. Er drehte sich um, kannte den Mann kaum wieder. Holger Schäffler stand vor ihm, aschfahl, schüttelte den Kopf. »Pfui Teufel«, sagte er nur.

21. Kapitel
    Das
Nachtcafé
war seit Jahren eine der attraktivsten Eigenproduktionen des Südwestrundfunks in Stuttgart. Alle zwei bis drei Wochen am Freitagabend Viertel vor zehn im Südwestfernsehen ausgestrahlt, erzielte die Sendung überdurchschnittliche Einschaltquoten. Mit ihrem Aufzeichnungsort, dem barocken Favoriteschloss am Rand Ludwigsburgs, dem Charme und der Schlagfertigkeit ihres Gastgebers und Moderators Wieland Backes und vielen, meist illustren Gästen brachte das
Nachtcafé
ungewohnten Glamour in die in weiten Teilen immer noch pietistisch-nüchtern geprägte Kultur Württembergs.
    Ein Team unter der Leitung des Chefs der Unterhaltungsredaktion des Senders erarbeitete die jeweilige Thematik, wählte dazu die Gäste aus, die, teils prominent, teils wissenschaftlich kompetent, ihre Standpunkte in einer Gesprächsrunde von sechs Teilnehmern austauschten. Die Wahl des Themas, die richtige Mischung der Geladenen und die Tagesform des Moderators entschieden über den Erfolg der Talk-Runde.
    Aufgezeichnet wurde das
Nachtcafé
fast immer am Vortag der Ausstrahlung, beginnend mit dem jahreszeitlich unterschiedlichen Einbruch der Dämmerung leuchtete die hell angestrahlte Barockfassade des kleinen Schlosses vor der dunklen Kulisse des Favoriteparks in die aufziehende Nacht, wurde die Runde im großen, feierlich erhellten ersten Obergeschoss des fast 300 Jahre alten Bauwerks eröffnet.
    Der Moderator plauderte, führte mit launigen Worten ins Thema, präsentierte die Tage zuvor gefilmten Statements mit Stuttgarter Passanten zur Problematik, stellte dem Publikum dann seine Diskutanten vor. Umringt von Fernsehtechnikern, Kameraleuten und drei Dutzend geladenen Gästen mühte sich Wieland Backes mit seinen Gesprächspartnern ab, provozierte die Ruhigen, Zurückhaltenden, bremste die Überquellenden, Geltungssüchtigen, charmierte die reiferen und weniger reifen Damen, kalauerte sich durch die angebrochene Nacht. In vielen seiner Sendungen lief der Moderator zu neuer Höchstform auf, verleitete seine Gäste zu intimen Geständnissen, überraschenden Selbstbezichtigungen, tiefschürfenden Gewissenserkundungen.
    An diesem Donnerstagabend war es Wieland Backes wieder schnell gelungen, ein lebhaftes, mit vielen konträren Argumenten gespicktes Gespräch auf den Weg zu bringen. Lange nach dem Ende der Fernsehaufzeichnung noch standen die Gäste im Eingangsbereich des Schlosses,

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