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Schwaben-Wut

Schwaben-Wut

Titel: Schwaben-Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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froh sind, wenn ihr Nachwuchs beschäftigt ist – und sei es mit Fernsehen. Das war seine neue Welt, die er sich Tag und Nacht reinzog und die ihn völlig veränderte. Wir sahen uns erst Monate später wieder.«
    »Wann war das?«
    »Drei Tage vor dem Mord.« Ulrich Hinderer klappte das Album zu, schob es zur Seite. »Purer Zufall. Er war inzwischen ja regelrecht berühmt geworden durch sein Kidnapping in der Schule, weil das in Stuttgart bisher absolut unbekannt und bisher nur via Fernsehen aus den USA zu uns gekommen war. Wir trafen uns in der Königstrasse vor dem Schloss, umgeben von einem Pulk von jungen Fans, die ihn richtig anhimmelten. Er trug dieselben Klamotten wie sein Vorbild, sogar eine Maske, war völlig abgedriftet und kaum noch ansprechbar. Erst später, im Gefängnis, kam er wieder zu sich und begriff, was er getan hatte. Ich glaube, die letzten Monate waren die schwierigsten in seinem Leben. Seine Wahnvorstellungen wurden ihm bewusst, seine sadistischen Spielereien, der Mord, das, was er dem Mädchen angetan hat.«
    »Davon ist aber nicht viel zu spüren«, meinte Braig, »im Gegenteil. Menschliche Züge kann ich in diesen bestialischen Verbrechen alle paar Tage nicht erkennen, beim besten Willen nicht.«
    Ulrich Hinderer erhob sich von seinem Platz, lief zum Fenster, schaute nach draußen. Autos waren zu hören, Motoren, die beschleunigten, das tiefe Hupen eines Lastwagens. Irgendwo schrie eine kräftige Männerstimme.
    »Was wollen Sie von mir hören?«, fragte der junge Mann, streckte ratlos seine Arme von sich weg. »Ich kann Ihnen keine Antwort geben. Es gibt keine Erklärung. Ich habe Andreas viermal während seiner Zeit im Gefängnis besucht, im Abstand von mehreren Monaten. Jedes Mal hatte er sich verändert, wie ich meine, eindeutig zu seinem Vorteil. Er hat bereut, was er getan hat, sprach davon, wieder gutmachen zu wollen, was überhaupt noch wieder gutzumachen ist. Ich wunderte mich bei jedem Besuch über den Ernst seiner Überlegungen. Er ist während der kurzen Zeit im Gefängnis um Jahre gealtert, reifer geworden, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das alles nur Schau gewesen sein soll. Deshalb komme ich auch mit dem, was ich aus den Nachrichten erfahre, nicht klar. Einerseits höre ich, Andreas sei ausgebrochen und ermorde wie eine Bestie mehrere Menschen. Andererseits weiß ich genau, dass das nicht sein kann. Ich kenne ihn zu gut. Oder doch nicht?«

28. Kapitel
    Braig hatte Mühe, die Worte des jungen Mannes zu verarbeiten. War es wirklich möglich, dass eine Fernsehserie einen Menschen so stark beeinflussen konnte, wie Ulrich Hinderer es ihm geschildert hatte? Eine Person so verändern, dass sich ihre Begeisterung für Tiere, für das Leben auf einem Bauernhof ins krasse Gegenteil, das Foltern, Quälen, Töten der einstmals so geliebten Kreaturen verkehrte? Ein Individuum so zu manipulieren, dass sich aus einem normalen Menschen – was immer das auch heißen mochte – eine mordlüsterne Bestie entwickelte?
    Natürlich war sich Braig der Gefahren bewusst, die aus der Medienüberflutung vor allem junger Menschen resultierte. Labile, noch haltlose Heranwachsende konnten durch Gewalt verherrlichende Darstellungen in unsoziale, ja kriminelle Verhaltensweisen abdriften, das belegten nicht nur unzählige empirische Studien, sondern zeigte sich deutlich genug im nüchternen Polizeialltag. Das Ansteigen der Jugendkriminalität war auch ein Resultat der allzu hemmungslosen Bereitschaft vieler Medien, ihr Programm allein an der Sensationsgier des Publikums zu orientieren. Das war Braig vollkommen klar.
    Trotzdem hatte er Schwierigkeiten, den Behauptungen Ulrich Hinderers zu folgen, zu einfach und zu wenig geklärt erschien ihm dessen Schlussfolgerung: Dass sich Stecher unter dem Einfluss einer gewaltbetonten Fernsehserie binnen weniger Monate derart verwandelt haben sollte. Bewusstseinsveränderung labiler Jugendlicher ja, aber in diesem Ausmaß?
    Das Läuten des Handy riss ihn aus seinen Gedanken. Er hielt das Gerät ans Ohr, meldete sich.
    »Wir haben die Hütte«, erklärte Neundorf.
    Braig musste sich erst wieder orientieren.
    »Das Foto, das wir bei den Wierandt-Brüdern fanden.«
    Er erinnerte sich, wusste, dass Neundorf mit Rössle vergeblich nach der Hütte gesucht hatte. »Was ist mit ihr?«, fragte er.
    »Das Gebäude ist zwar leer, aber wir haben trotzdem höchst interessante Entdeckungen gemacht. Obwohl ich nicht weiß, ob sie mit Stecher

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