Schwaben-Zorn
ist richtig. Wir waren neun Jahre zusammen.« Die junge Frau am anderen Ende gähnte laut. »Verzeihung. Für mich als Studentin ist es noch sehr früh.« Sie machte eine kurze Pause, fuhr dann fort. »Anfangs waren wir in derselben Klasse, später dann in den gleichen Leistungskursen. Deutsch und Biologie. Am Büchner-Gymnasium in Winnenden. Warum interessiert Sie das?«
»Es geht um Christina«, antwortete er. »Ihr Treffen mit ihr am Montagabend.«
»Ja, das war beschissen. Tut mir jetzt noch Leid.«
Braig hatte Schwierigkeiten zu verstehen: »Was meinen Sie damit?«
»Na ja, nicht, dass Sie glauben, es war Absicht … Ich hatte mich wirklich auf unser Treffen gefreut. Aber es läuft eben nicht alles so, wie es soll.«
Er begriff immer noch nicht, was die Antwort der jungen Frau zu bedeuten hatte, überlegte: »Hatten Sie Streit?»
»Streit? Nein, wieso denn?«, erwiderte sie mit energischer Stimme.
»Was dann?«
»Mein Unfall. Es war wirklich keine Absicht. Aber dass es gerade in dem Moment passieren musste, wo wir uns treffen wollten …« Corinna Fischer gähnte leise.
»Was für ein Unfall?«
»Ja, rufen Sie nicht wegen dem Unfall an? Es war meine Schuld, ich gebe es zu. Ich fuhr dem Mann voll in die Hanke. Es war neblig, total diesig. Ich sah das Auto zu spät.«
»Sie hatten also vorgestern Abend einen Unfall.«
»Was erzähle ich denn die ganze Zeit? Deshalb wurde es nichts mit unserem Treffen.«
»Sie haben Christina Bangler überhaupt nicht gesehen?«
Die junge Frau am anderen Ende verfiel in einen mürrischen Tonfall. »Was soll das jetzt? Ich habe mich doch sofort bei Christina gemeldet und mich bei ihr entschuldigt. Sie hatte zum Glück ihr Handy dabei.«
»Wann war das? Ich meine, um wie viel Uhr?«
»Kurz vor acht. Sie saß schon in der S-Bahn. Wir wollten uns an der Haltestelle Stadtmitte treffen. Und dann passierte mir das.«
Braig spürte Unruhe in sich wachsen, sprang von seinem Stuhl. Christina Banglers letzter Abend war völlig anders verlaufen, als er sich das bisher vorgestellt hatte. Ihr Treffen in Stuttgart hatte gar nicht stattgefunden. Oder doch, Stunden später?
»Wo war der Unfall?«, fragte er.
»Sie wollen es aber genau wissen, wie?« Corinna Fischer zögerte einen Moment mit der Antwort, gähnte leise, redete dann weiter. »In Degerloch in der Nähe vom Albplatz, wenn Ihnen das etwas sagt. Ich wollte mein Auto gerade in der Löwenstraße abstellen und zur Stadtbahn gehen, als es passierte. Es war ohnehin spät und in der Hektik … Ich achtete nicht auf das Fahrzeug hinter mir, ich gebe es zu. Na ja, unser Treffen sollte eben nicht sein. Wir verschoben es auf die nächste Woche.«
Braig spürte, wie ihm nicht nur die innere Unruhe, sondern auch immer stärker aufkommende Kopfschmerzen zu schaffen machten, versuchte sich auf die Aussagen der jungen Frau zu konzentrieren. Was sie bisher erzählt hatte, lenkte seine Ermittlungen in völlig andere Bahnen, als er es bisher gedacht hatte. Neue Schwierigkeiten taten sich auf. War Christina Bangler am Montag gar nicht nach Stuttgart weitergefahren? Mit wem hatte sie die letzten Stunden ihres Lebens verbracht? Er musste sich vergewissern, alles richtig verstanden zu haben.
»Darf ich Ihre Aussagen noch einmal zusammenfassen: Sie wollten sich am Montagabend mit Frau Bangler an der Station Stadtmitte treffen, wurden durch den Unfall in Degerloch aber daran gehindert. Also riefen Sie sie an und entschuldigten sich, weil Sie wussten, dass es eine Weile dauern würde, bis an der Unfallstelle alles erledigt sein würde.«
»Richtig. Genauso war es.«
»Christina Bangler saß aber schon in der S-Bahn nach Stuttgart, als Sie sie erreichten. Haben Sie eine Ahnung, was sie nach Ihrer Absage machte?«
Corinna Fischer lachte. »Woher soll ich das wissen? Sie sind gut.«
»Warum vereinbarten Sie nicht, sich in Degerloch zu treffen? Sie hätte doch zu Ihnen hochfahren können?«
»Ich dachte, Sie sind von der Polizei? Dann sollte Ihnen doch klar sein, wie lange so etwas dauern kann. Unfallaufnahme, Zeugenbefragung und all der Kram. Und das bei der Kälte und in dem Nebel. Und da soll sich eine Unbeteiligte einfach so dazustellen? Wozu?«
»Aber Frau Bangler muss doch reagiert haben, als Sie sie über den Unfall informierten.«
Die Antwort kam prompt. »Fragen Sie sie doch selbst. Sie kann es Ihnen am besten erklären.«
»Das geht schlecht«, antwortete Braig. Er wollte seiner Gesprächspartnerin gerade mitteilen, was passiert
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