Schwaben-Zorn
Er spürte die Aufregung, die von ihm Besitz ergriff. Unwillkürlich wurde ihm die Brisanz dieser Aussage klar.
War Christina Bangler in Bad Cannstatt ihrem Mörder begegnet? Hatte der Mann, der ihr dort auf dem Bahnsteig aufgefallen war, mit ihrem schrecklichen Tod zu tun? Sie mussten ihn finden und sein Alibi überprüfen, soviel war klar. Stand er kurz vor einer entscheidenden Wendung des Falles?
Braig spürte wieder stechende Kopfschmerzen, versuchte, sich auf Christina Banglers Tod zu konzentrieren. Er sah, wie die junge Frau vor ihm unruhig im Zimmer hin und her lief und Rauchwolken in die Luft blies. Ob sie sich an den Namen des Mannes erinnerte?
Nein, das war nicht selbstverständlich.
Was sollte er tun, falls es ihr nicht mehr einfiel? Fernsehen, Rundfunk und Presse einschalten, um die Personen zu erreichen, die um jene Zeit in Bad Cannstatt auf dem Bahnsteig auf einen Zug gewartet hatten, und sie dann nach dem Aussehen des Unbekannten fragen, um auf diese Weise seine Identität ermitteln zu können?
Braig massierte seine Schläfen, spürte, dass er es ohne Tabletten oder wenigstens einen starken Kaffee nicht mehr lange aushalten würde. Was, wenn sich nach tagelangem Suchen herausstellen sollte, dass der Mann völlig unschuldig war? Dass er Christina Bangler zwar in Bad Cannstatt in der S-Bahn entdeckt, es aber bei einem kurzen Blickkontakt vom Bahnsteig in den Zug belassen hatte? War es wirklich sinnvoll, all die Mühe auf sich zu nehmen, die es zweifelsohne erfordern würde, dieser Spur zu folgen? Oder war es Erfolg versprechender, sich ganz auf den Vater als Tatverdächtigen zu konzentrieren, obwohl der so vehement jede Schuld von sich gewiesen hatte?
Corinna Fischer riss ihn aus seinen Überlegungen. »Ich glaube, ich weiß den Namen«, murmelte sie, die Zigarette weit von sich gestreckt.
Braig betrachtete die junge Frau voller Erwartung. Der Rauch hing in dichten Schwaden in der Luft, den Raum in ein ähnlich düsteres Panorama verwandelnd wie die Nebelschwaden draußen die Straßen. »Ja?«, fragte er.
»Markus«, erklärte sie, »wenn ich mich richtig erinnere, erwähnte sie einen Markus, der auf dem Bahnsteig stehe und ihr winke. Und dann, am Schluss unseres Gesprächs, redete sie noch davon, dass sie jetzt, wo es mit unserem Treffen ja ohnehin nichts würde, den Zug verlassen und dem Mann Gesellschaft leisten könne.« Sie schwieg einen Moment, drückte die Zigarette auf dem Teller aus. »Ich bin mir aber nicht hundertprozentig sicher, ob ich alles richtig verstanden habe. Bedenken Sie bitte die hektische Situation, in der ich mich befand.«
13. Kapitel
Braig hatte es nicht mehr auf seinem Stuhl gehalten. Er war aufgesprungen, hatte Corinna Fischer überrascht angestarrt und sich durch Nachfragen versichert, dass er ihre letzten Worte richtig verstanden hatte. »Sie wollte den Zug verlassen und dem Mann Gesellschaft leisten?«
Er hatte ihr Zeit gelassen, sich die Szene noch einmal in Erinnerung zu holen, genau darüber nachzudenken, was Christina Bangler ihr in jenem Moment erzählt hatte, als sie am Straßenrand in Degerloch auf die Ankunft der Polizei wartete. Corinna Fischer war unruhig in ihrem Zimmer auf und ab marschiert, hatte Unmengen Nikotin inhaliert, war dann mit einem Schulterzucken auf ihr Sofa gesunken. »Ich weiß es wirklich nicht mehr genau. Tut mir Leid.«
Nach zwei weiteren Zigaretten war sie endgültig davon überzeugt gewesen, dass Christina Bangler den erwähnten Vornamen, dann auch die Absicht geäußert hatte, den Zug zu verlassen und Kontakt mit dem Mann aufzunehmen.
»Das bedeutet, sie hat ihn näher gekannt.«
»So wie sie den Mann erwähnte, sicher.«
Ein Markus, mit welchem Nachnamen auch immer, im Zusammenhang mit ihrer ermordeten Freundin war ihr jedoch nicht geläufig.
Kurz vor halb elf war Braig in Birkach aufgebrochen. Er hatte seine Telefonnummer und die dienstliche Anschrift hinterlassen, falls ihr doch noch etwas einfallen sollte. Er musste Rebekka Bangler und eventuell – so sehr er sich auch dagegen sträubte – ihre Eltern fragen, ob ihnen ein Mann mit dem Vornamen Markus im Zusammenhang mit Christina bekannt sei. Wenn sie tatsächlich den Zug verlassen und Kontakt mit ihm aufgenommen hatte, war er einer der letzten Menschen, mit denen sie zusammengetroffen war. Vielleicht gar der letzte?
Statt direkt in sein Büro zurückzukehren, beschloss Braig, bei Ann-Katrin im Diakonissenkrankenhaus vorbeizuschauen. Beim Verlassen der Wohnung in
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