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Schwaben-Zorn

Titel: Schwaben-Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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Blätterdach exotischer Gewächse, machte sich an der Wasserzuführung zu schaffen.
    »Herr Böhmer?«, fragte Braig, als er den Mann entdeckte.
    Er hatte sich am Eingang der Wilhelma ausgewiesen und nach dem Arbeitsplatz des jungen Gärtners erkundigt. Keine Menschenschlangen an der Pforte, nirgendwo Kinder, keine Schulklassen, kaum ein Besucher im Eingangsbereich des weitläufigen zoologisch-botanischen Gartens. – Braig hatte die Szenerie von seinem privaten Besuch mit Ann-Katrin im vergangenen Sommer ganz anders in Erinnerung. Vielleicht waren die vielen Besucher bei dem feucht-kalten Novembernebel alle in die gut geheizten Tierhäuser des Zoos geflüchtet.
    Braig starrte unter die grünen Stauden einer Bananen-ähnlichen Pflanze, sah, wie der junge Mann sich zu ihm umwandte.
    »Ja?«
    Braig stellte sich vor, wartete, bis der andere die knapp über dem Boden verlaufenden Rohre der Wasserzuführung befestigt hatte.
    »Sie drückt die Wurzeln ab«, erklärte Böhmer, »wenn wir sie zu tief verlegen.«
    »Sie kümmern sich um jede einzelne Pflanze?«
    »Das ist mein Beruf. Wissen Sie, wie wertvoll die sind?«
    Braig schaute sich kopfschüttelnd um, staunte über die Vielfalt der Vegetation. Schon das Betreten des Pflanzenschauhauses hatte er wie den Eintritt in eine fremde Welt wahrgenommen. Ein Schwall feucht-warmer Luft war ihm entgegengeflutet, hatte ihn die triste Novemberstimmung draußen vergessen lassen. Der Aufenthalt in den Glasgewölben mit den üppig grünen Gewächsen erschien ihm wie ein Eintauchen in eine paradiesische, aller Sorgen ledige Urlaubslandschaft.
    Der Mann vor ihm kroch unter dem Blätterdach vor, richtete sich auf. Er war fast genauso groß wie sein Besucher. Er wischte die rechte Hand an seiner Hose ab, reichte sie Braig. »Was wollen Sie von mir?«
    Der Kommissar betrachtete sein Gegenüber, spürte den Druck in seinem Magen. Er war gleich nach dem Telefonat aufgebrochen, hatte in der Nähe vom Cannstatter Wilhelmsplatz einen Bäcker aufgesucht und dort im Stehen einen Kaffee und zwei Brötchen zu sich genommen. Weil er nicht allzu viel Zeit verlieren wollte, hatte er ständig auf seine Uhr geblickt und den Imbiss deshalb viel zu schnell hinuntergewürgt. Jetzt machte ihm sein Magen zu schaffen.
    »Es geht um …« Braig unterbrach sich, überlegte, wie er anfangen sollte. Die Karten offen auf den Tisch legen, die Bewährungsstrafe Böhmers als bekannt voraussetzen oder so tun, als wisse er nichts davon? Er entschied sich für einen Mittelweg. »Christina Bangler. Sie haben mir am Telefon erklärt, Sie hätten sie öfter mal getroffen.«
    Der junge Mann wischte sich die langen Strähnen aus dem Gesicht, wog seinen Kopf bedächtig hin und her. »So oft jetzt auch wieder nicht. Ab und zu, ja.«
    »Wann zum letzten Mal?«
    »Diese Woche«, antwortete Böhmer.
    »Geht es etwas genauer?« Braig überlegte, dass die tiefe Stimme nicht zu der langen, schlaksigen Gestalt des Mannes passte.
    »Was heißt ›genauer‹?«
    »An welchem Tag war das, zu welcher Zeit?«
    »Vorgestern. Abends.«
    »Und wo?«
    Böhmer trat ungeduldig von einem Bein aufs andere. »Hören Sie, Christina hat Ihnen das alles doch schon erzählt, oder? Das behaupteten Sie jedenfalls am Telefon.«
    Braig schaute ihm starr in die Augen, trat einen Schritt zur Seite, weil er sich von einem der auf die Pflanzen gerichteten Strahler geblendet fühlte, konnte keine Unsicherheit im Gesichtsausdruck des jungen Mannes erkennen. Wusste er nichts von ihrem Tod oder markierte er diese Unwissenheit nur? Selbst wenn er nicht unmittelbar mit ihrer Ermordung zu tun hatte, konnte er aus den Medien darüber informiert sein. War seine angebliche Unkenntnis also Schauspielerei?
    »Ich möchte es von Ihnen hören. Ganz einfach.«
    Sein Gesprächspartner stöhnte laut. »Also. Hier auf dem Bahnhof.«
    »Hier?«
    »In Cannstatt, ja. Wo sind wir hier?«
    »Wären Sie so freundlich, mir Ihre Begegnung mit Frau Bangler genauer zu schildern?«
    Eine Gruppe älterer Frauen trat, lauthals miteinander redend, in den Bereich des Pflanzenschauhauses, in dem sie sich aufhielten. Der junge Mann starrte zu ihnen hin, verzog sein Gesicht.
    »Könnten wir nicht woanders hingehen, wo wir uns in Ruhe unterhalten können?«, fragte Braig.
    Böhmer zeigte missmutig ans andere Ende des Gebäudes. »Wenn es unbedingt sein muss.«
    Er sah Braigs Nicken, schlurfte mit hängenden Schultern einen Weg mitten durch das tropisch anmutende Pflanzendickicht entlang.

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